top of page

Suchergebnisse

69 Ergebnisse gefunden mit einer leeren Suche

  • Open Call Issue 4

    Anker 1 Open Call für Issue 4 Inhalt Anker 2 CLICK HERE FOR THE ENGLISH VERSION OF THE OPEN CALL KURZINFO Einreichen können: Studierende und Angehörige aller Institute der HBK Braunschweig Thema: Machtverhalten Abgabetermin (Abstract, ca. eine halbe Seite): 9 Oktober 2022 Sprachen: Deutsch, Englisch ISSUE 4: MACHTVERHALTEN Obwohl die Gegenwartskunst nach Autonomie strebt und über weite Strecken liberale Positionen vertritt, ist der globalisierte Kunstbetrieb von den vorherrschenden gesellschaftlichen Machtverhältnissen nicht ausgenommen. Sowohl Kunstschaffende, Kunstausstellende, Kunstvermittler:innen, Kunstkritiker:innen als auch Kunstkonsumierende sind von Neoliberalismus, Diskriminierung und ungleichen ökonomischen Verhältnissen betroffen. Auch zwischen diesen Gruppen lassen sich Abhängigkeitsverhältnisse erkennen, die zu einem komplexen Wechselspiel führen, in dem die Akteur:innen durch ihr Verhalten aufeinander Macht ausüben und selbst erfahren. Faktoren, wie beispielsweise die Vergabe von Stiftungsförderungen und Stipendien, öffentliche und private Ankäufe von Kunst, oder auch die Kunstvermittlung in Bildungsinstitutionen wie an Schulen oder Universitäten spielen hierbei eine tragende Rolle. Das Bewusstsein über die den Entscheidungen innewohnende Macht über die Verteilung und den Zugang von/zu Mitteln im Kunstbetrieb verändert das Machtverhalten der Akteur:innen. Aus diesem Grund ist es wichtig, in Projekten, Institutionen und Ausstellungssituationen zu reflektieren, wer in welcher Position agiert. Unter welchen Umständen sind diese wandelbar? Was passiert wenn sich die Rollen verändern, wenn etwa Künstler:innen zu Kurator:innen, oder Kunstvermittler:innen / Kurator:innen zu Künstler:innen werden? Welche Möglichkeiten, aber auch welche neuen Machtverhältnisse resultieren daraus? Bedacht werden sollte, dass der Austausch von Personen, Gruppen und Begriffen nicht zwangsläufig zu einer Verflachung von Hierarchien führen muss. Sowohl die Kunstproduktion, als auch die Kunstkritik, kuratorische Arbeit und der Kunsthandel sind immer von Macht geprägt. Macht kann nicht negiert werden, vielmehr erzeugt jede Veränderung im Kunstbetrieb neue Machtkreisläufe, die sich stetig reproduzieren und deshalb immer wieder neu kritisch bearbeitet werden müssen. Dieser Einsicht verschreiben sich kritische Theorie, Praxis und Vermittlung in der Kunst. Die Machtanalysen des französischen Philosophen Michel Foucault und der Literatur, die seine Ansätze weiterführt, bilden hierfür ein wichtiges Werkzeug, welches in der Konzeptkunst, institutionskritischen Kunst und kritischen Kunstvermittlung häufig zum Einsatz kommt. Macht wird als etwas begriffen, das sich einer eindeutigen Definition entzieht, prozesshaft wirkt und in der Gesellschaft zirkuliert. Das bedeutet, die Individuen einer Gesellschaft haben nicht einfach mehr oder weniger Macht, sondern sie sind dazu gezwungen, Macht auszuüben und diese zur selben Zeit zu erfahren. Das Machtverhalten einer Person, Gruppe oder Institution ist demnach keine individuelle Praxis mehr, sondern das Produkt und der Ausdruck eines Diskurses. Sprache selbst wird zu einer diskursiven Praxis und jede:r kann in sie und durch sie in vorherrschende Machtverhältnisse eingreifen. In heutigen, identitätspolitisch geprägten Diskursen bleibt jedoch die Frage offen, ob ein rein diskursives Machtverständnis tatsächlich ausreichend ist, um sich revolutionär verhalten zu können. Wenn etwa zum Umsturz aufgerufen wird, eine radikale Umverteilung von Macht und ökonomischen Mitteln gefordert wird, oder wenn die politische Praxis von konkreten Personen und Institutionen attackiert wird, widerspricht das dann nicht dem fluiden Machtverständnis Foucaults? Fest steht, dass das Prinzip von Macht im Allgemeinen und im Kontext von Kunst und ihrer Vermittlung vielschichtig ist. Macht zeigt sich in bewussten, sowie unbewussten Handlungen. Die Entscheidung des Individuums (das im selben Moment Teil einer Gruppe ist) wie es seine Macht einsetzt, spielt immer eine entscheidende Rolle. Dabei prägen unterschiedliche Formen von Diskriminierung die Machtverhältnisse, in welchen es sich bewegt. So reproduzieren bis heute, auch in der Kunst, patriarchale Strukturen ihre innewohnenden Verhältnisse von Macht. Nach wie vor dominieren weiße Cis[1] männliche Personen den globalen Kunstdiskurs, sowohl was die ausgestellten Werke als auch Ausstellungskonzeptionen und Institutionen betrifft. Im über weite Strecken prekären Kunstbetrieb kommt das Selbstverständnis von schlechter- oder gänzlich fehlender Bezahlung einer Abwertung der Arbeit von Kunstschaffenden und Kunstvermittelnden gleich. Auch hier sind es im Allgemeinen marginalisierte Personengruppen, die besonders schlecht bezahlt werden. Institutionen mit progressiven Ansätzen, die etwa Ausstellungen mit einem antirassistischen/antidiskriminierenden Anspruch zeigen, verstricken sich nicht selten in innere Widersprüche, wenn man die hierarchischen Verhältnisse dieser Häuser unter die Lupe nimmt. Manchmal stellt sich die Frage, ob es diesen Institutionen tatsächlich um das politische Anliegen geht, oder ob es sich nicht eher um eine Aufwertung ihrer selbst handelt, weil es mittlerweile „en vogue“ geworden ist, sich als möglichst antirassistisch, antidiskriminatorisch und divers zu präsentieren. Geht es um eine ernst gemeinte Wertschätzung von marginalisierten Gruppen oder werden diese für die Außenwirkung einer Institution instrumentalisiert? So führt letzteres dazu, dass BIPoC[2] oder queere[3] Personen in vielen Fällen zwar zu Ausstellungen eingeladen werden, die sich Themen wie kulturelle Zuschreibung, Sexualität, Geschlecht, und/oder Identität im Ganzen widmen, aber zugleich nicht nachhaltig in Entscheidungsprozesse mit einbezogen oder in Institutionen integriert werden. Diese Umstände stützen ein dauerhaftes Machtgefälle. Dabei ließe sich durch die Entscheidung darüber, mit wem und wie Institutionen und andere Akteur:innen des Kunstbetriebs zusammenarbeiten, jenen Personengruppen Raum und Wertschätzung schenken, denen beides, auch historisch gesehen, selten zugestanden wurde. ________________________________________ [1] Cis/ cisgender bezeichnet Personen deren Geschlechtsidentität mit dem, ihnen bei der Geburt zugewiesenen/ im Geburtsregister eingetragenen Geschlecht, übereinstimmt [2] BIPoC steht für die politischen Selbstbezeichnungen Black, Indigenous und People of Color [3] Queer - Sammelbegriff für Personen, deren Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung nicht der binären (zweigeschlechtlichen), cis-geschlechtlichen und/oder heterosexuellen Norm entspricht. TEXTTYPEN DES JOURNALS Praxisberichte: In den Praxisberichten haben Studierende die Möglichkeit, über ihre selbstentwickelten Vermittlungsprojekte zu schreiben. Dabei geht es jedoch nicht allein um eine Beschreibung der Projektumsetzung, denn ein elementarer Bestandteil der Praxisberichte ist auch, dass die Überlegungen, die der Umsetzung vorangegangen sind, sowie der Kontext, in dem das Projekt stattfand, den Leser:innen nahegebracht werden. Eine kritische Reflexion des Projekts und ein kurzes Fazit sollten enthalten sein. Wenn du gerne einen Praxisbericht verfassen möchtest, dann erkläre uns bitte auf einer halben Seite kurz, worum es sich bei deinem Projekt gedreht hat, und wie sich darin das Thema der Demokratisierung widerspiegelt. Buchrezensionen: Eine Buchrezension ist eine informative, aber auch kritische Buchvorstellung, in der die wichtigsten Inhalte des Buchs besprochen werden. Gleichzeitig bietet die Rezension Raum für eine persönliche Stellungnahme oder Empfehlung und ein begründetes Urteil über die Relevanz des Buchs. In unserem Journal möchten wir vorzugsweise aktuell erschienene Bücher vorstellen (2020/2021). Wenn du ein Buch rezensieren möchtest, dann nenne bitte auf einer halben Seite kurz, um welches Buch es sich genau handelt (Titel, Autor:in, Verlag, Jahr) und welchen Bezug es auf das Thema Demokratisierung hat. Gespräche und Interviews: Unter dieser Kategorie haben Studierende die Möglichkeit, eine Person zu einem Gespräch oder Interview einzuladen, die über eine Expertise oder besonderen Erfahrungswert in Bezug auf das aktuelle Thema des Journals verfügt, oder deren kunstvermittlerische Arbeit man in Hinblick auf das aktuelle Thema des Journals befragen möchte. Über das Gespräch soll im Anschluss ein Fließtext in eigenen Worten geschrieben werden, der dann im Journal erscheint. Wenn du ein Gespräch oder Interview im Rahmen des Webjournals führen möchtest, um deinen Gesprächsbericht anschließend in der aktuellen Ausgabe zu veröffentlichen, dann bitte fasse auf einer halben Seite kurz zusammen, wen du gern als Gesprächspartner:in interviewen möchtest und wieso diese Person deiner Meinung nach in Verbindung zum aktuellen Thema der Demokratisierung dafür geeignet ist. Für uns sind diese Informationen wichtig, damit wir sie in unsere Entscheidung über die Beitragsauswahl mit einbeziehen können. Theoriebeiträge: Zu jeder Ausgabe laden wir zwei bis drei Gäst:innen dazu ein, zum aktuellen Thema einen Text zu verfassen. Wir möchten durch diese Beiträge Aspekte unseres aktuellen Themas beleuchten, die wir über Praxisberichte, Gesprächsbeiträge oder Buchrezensionen möglicherweise nicht abdecken können, die für uns aber so relevant sind, dass sie nicht fehlen dürfen. Außerdem bietet sich so die Chance, der Expertise aus anderen Fachbereichen Raum zu geben. Wenn du einen Vorschlag hast, welche Person eine besonders interessante Position zum aktuellen Thema vertritt und einen wertvollen Beitrag zum Thema Demokratisierung verfassen könnte, freuen wir uns über einen kurzen Vorschlag. Redaktion Issue 4: Paula Andrea Knust Rosales, Martin Krenn, Julika Teubert SHORT INFO (ENGLISCH VERSION) The Open Call is open to students and members of all institutes of the HBK Braunschweig Topic: Machtverhalten (Power Behaviour/Power Relations) Deadline for abstract (half a page): 09 October 2022 Languages: German, English ISSUE 4: MACHTVERHALTEN (POWER BEHAVIOUR/POWER RELATIONS) Although contemporary art strives for autonomy and represents liberal positions, for the most part, the globalized art scene is not excepted from the prevailing social power relations. Artists, art exhibitors, art educators, art critics as well as art consumers are all more or less affected by neoliberalism, discrimination and unequal economic conditions. Relationships of dependency can also be discerned between these groups, leading to a complex interplay in which the respective individuals/groups exercise and experience power over one another. Factors such as the awarding of grants and scholarships, public and private purchases of art, or the teaching of art in educational institutions such as schools or universities play a key role in this context. To shift unjust power relations in the art world it is essential to improve the awareness of the role of power inherent in decisions about the distribution of funding and the supply of infrastructure in the art world as well as the question of who can access it on what terms. Who is acting in which position in projects, institutions and exhibitions and under which circumstances should the resulting power structures be changed? What happens, when roles change, and artists become curators and art educators/curators or visitors become artists? What possibilities but also what new power relations result from this? However, when people, groups and concepts are exchanged, this does not mean that this automatically flattens hierarchies. Art production, as well as art criticism, curatorial work as well as the art market, are always determined by power. Power cannot be negated; on the contrary, every change generates new power circuits that constantly reproduce themselves and must therefore be critically reworked again and again. Critical art theory and practice are dedicated to this insight (e.g. conceptual art, institution-critical art, and critical art education). The power analyses of the French philosopher Michel Foucault and the literature that develops his approach further, form an important tool to shift power relations in the art system. According to Foucault power is understood as something that cannot be defined completely, it operates processual, and circulates in different forms in society. This means that the individuals of a society do not simply own more or less power, rather they are forced to wield and experience power at the same time. Accordingly, to this drain of thoughts, the power behaviour of a person, group, or institution is not an individual practice, but the product and expression of a discourse. Language itself becomes a discursive practice. However, in today's discourses shaped by identity politics, the question remains open whether a purely discursive understanding of power is sufficient enough to make a real (revolutionary) change possible. For example, when there is a demand for a radical redistribution of power and economic resources, or when the political practices of specific individuals and institutions are attacked, does this not contradict Foucault's fluid understanding of power? The principle of power in general and in the context of art and its mediation/education is multi-layered. Power manifests itself in conscious, as well as unconscious actions. The decision of the individual (who is at the same time part of a group) on how to use his/her/their power always plays a decisive role. Thereby, different forms of discrimination shape power relations. Thus, even today, patriarchal structures reproduce their inherent relations of power in the art system. White cis[1] males still dominate the global art discourse, both in terms of the works exhibited as well as exhibition concepts and institutions. In the largely precarious art scene, the fact that artists/mediators are not paid well or not paid at all is tantamount to devaluing the work of artists and art mediators/educators. Here, too, are generally marginalized groups or people particularly poorly paid. Institutions with progressive approaches that, for example, show exhibitions with an anti-racist/anti-discriminatory claim, not infrequently become entangled in internal contradictions when the hierarchical relationships of these institutions are scrutinized. Sometimes the question arises whether they are really concerned with the political issue, or whether it is rather a matter of image cultivation because it has become "en vogue" to present themselves as being as much as anti-racist, anti-discriminatory and diverse as possible. Is it about the serious recognition and inclusion of marginalized groups or are they just instrumentalized for the prestige advertising of an institution? Thus, in many cases, the latter leads to BIPoC[2] or queer[3] individuals being invited to exhibitions dedicated to topics such as cultural attribution, sexuality, gender, and/or the questioning of identity as a whole, but at the same time they are not becoming sustainably part of an institution and are not included in the respective decision-making processes. These circumstances support an enduring power imbalance. Yet, by deciding with whom and how institutions and other players in the art world collaborate, space and recognition could be given to those groups of people who have been marginalized and more or less ignored by the western art world for centuries. ________________________________________ [1] Cis/ cisgender refers to persons whose gender identity matches the sex assigned to them at birth/ recorded in the birth registry [2] BIPoC refers to the political self-designations Black, Indigenous, and People of Color [3] Queer - collective term for individuals whose gender identity or sexual orientation does not conform to the binary (two-gender), cisgender, and/or heterosexual norm CONTRIBUTION TYPES Experience Report: In the experience report, students can write about their self-developed art mediation projects. However, it is not only about a description of the project realization. An elementary component of the experience report is that the considerations that preceded the realization, as well as the context in which the project took place, are made accessible to the reader. A critical reflection of the project and a short conclusion should be included. If you would like to write an experience report, please explain briefly in half a page what your project was about and how it reflects the topic of mediation. Book Reviews: A book review is an informative, yet critical, book introduction that discusses the main content of the book. At the same time, the review provides space for a personal statement or recommendation and a reasoned judgment about the relevance of the book. In our journal, we prefer to present books that have been recently published (2021/2022). If you would like to review a book, please state briefly on half a page exactly what the book is about (title, author, publisher, year) and how it relates to the topic of mediation. Conversations and Interviews: Under this category, students may invite a person/group to participate in a conversation or interview who has expertise or special experiential value related to the current topic of the journal, or whose art education work suits the current topic of the journal. A continuous text in your own words should then be written about the conversation, which will be published in the journal. If you would like to conduct a conversation and write an interview report to be published in the next issue, please summarize on half a page who you would like to interview and why you think this person is suitable concerning the current topic of mediation. Theory contributions: For each issue, we invite two to three guests to write a text on the current topic. By these contributions, we would like to shed light on aspects of our current issue that are not covered in the other types of text. It also provides an opportunity to give space to expertise from other disciplines. If you have a suggestion about which person holds a particularly interesting position on the current topic and could write a valuable contribution on the topic of mediation, we would be happy to receive a brief suggestion. Editorial Team Issue 4: Paula Andrea Knust Rosales, Martin Krenn, Julika Teubert

  • Fossilis – durch Graben gewonnen Von Linn Bergmann

    Fossilis – durch Graben gewonnen Von Linn Bergmann Iss ue 6│ Antifaschismus Anker 1 Fossilis – durch Graben gewonnen Linn Bergmann Ausstellungsansicht Durch Graben gewonnen , 2024 © Linn Bergmann Ausstellungsansicht Durch Graben gewonnen , 2024 © Linn Bergmann Ausstellungsansicht Durch Graben gewonnen , 2024 © Linn Bergmann Ausstellungsansicht Durch Graben gewonnen , 2024 © Linn Bergmann Vor ungefähr vier Jahren wurde bekannt, dass sich im Rehburger Forst ein Waldabschnitt befindet, in dem sowjetische Gefangene im Verlauf des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit verrichten mussten. Insgesamt waren dort während der Kriegsjahre mindestens 261 Kriegsgefangene untergebracht. Kurz nachdem die Existenz dieses Lagers bekannt worden war, haben sich ehrenamtliche Helfer:innen zusammengeschlossen, um die Geschichte des Lagers im Rehburger Forst aufzuarbeiten und in Form einer Ausstellung für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Rahmen dieser Aufarbeitung wurden im Forst archäologische Grabungen durchgeführt, bei denen viele Gegenstände aus der Zeit des Nationalsozialismus gefunden wurden. Neben aussagekräftigen Objekten wie zum Beispiel einer Kamera, Knöpfen und Schuhen waren zahlreiche andere Funde dabei, die keinen direkten archäologischen Wert haben, etwa Dachpappe, Glasscherben, Drähte und vieles mehr. Vor knapp drei Jahren wurde ich gefragt, ob ich gemeinsam mit dem Arbeitskreis Stolpersteine Rehburg-Loccum eine Ausstellung konzipieren möchte, um neben den wissenschaftlichen Aspekten auch der künstlerischen Aufarbeitung Raum zu geben und somit für noch mehr Sichtbarkeit zu sorgen. Anfangs hatte ich enormen Respekt vor der Verantwortung, die so eine Aufgabe mit sich bringt. Ich fragte mich, wie ich diesem großen, wichtigen Thema überhaupt gerecht werden könnte – ich als junge Künstlerin, die zunächst keine direkten Berührungspunkte mit der NS-Zeit hatte. Was gibt mir das Recht, mich laut und öffentlich künstlerisch dazu zu äußern? Meine größte Angst war – und ist es noch immer –, den Opfern dieses Lagers und ihrem Leid nicht gerecht werden zu können. Ich habe Sorge, das Thema mehr plakativ als sensibel aufgegriffen und vor allem aufgearbeitet zu haben. Ein weiterer Punkt, mit dem ich vor allem zu Beginn haderte, war der inhaltliche Kontrast zwischen der Auseinandersetzung mit dem Kriegsgefangenenlager und meiner eigentlichen künstlerischen Arbeit, die höchstens sehr subtil politisch ist und sich eher als forschend und intuitiv einordnen oder beschreiben lässt. Ich hatte Probleme, diese beiden Pole für mich zu vereinbaren, weil ich dadurch an der Authentizität meiner Arbeit im Rehburger Forst zweifelte. Bin ich wirklich die richtige Person, um dieses Thema zu bearbeiten, oder sollte nicht vielmehr jemand damit betraut werden, der oder die schon mehr Erfahrung mit politischer Kunst hat? Ein paar dieser Zweifel verflogen und mit der Zeit erkannte ich, dass die Arbeit in der Ausstellung vor allem eine große Chance war, meinen Teil zur Erinnerungskultur beizutragen, die ich heute als wichtiger denn je empfinde. Die Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe hatte zur Folge, dass ich mich mit der Zeit des Nationalsozialismus so intensiv wie nie zuvor auseinandersetzte. Ich war häufig im Wald, im Forst – dort, wo das ehemalige Lager war. Ab und an konnte ich auch bei den Ausgrabungen helfen. Für mich war es immer wieder erschütternd, dort zu sein. Der Wald und die gesamte Umgebung des Lagers sind sehr schön und idyllisch, und genau diese Idylle machte es für mich lange schwer greifbar, was sich an dieser Stelle wohl zugetragen haben mochte. Die Ruhe des Waldes und die schreckliche Geschichte dieses Ortes ließen sich für mich kaum miteinander vereinbaren. Gleichzeitig wurde mir immer klarer, was dieser Ort alles gesehen haben musste und welche Erinnerungen er in sich speichert. Der Wald ist wie ein großes, die Zeit überdauerndes Gedächtnis und bildet für mich eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Mir war es wichtig, diesen Aspekt in die Ausstellung zu integrieren, um einen direkten Bezug zwischen den Zeiten herzustellen und zu verdeutlichen, wie eng sie miteinander verbunden sind. Der Wald im ehemaligen Kriegsgefangenenlager vermittelt zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Die Geräusche des Waldes, die ich aufgenommen habe, sind in der gesamten Ausstellung zu hören und bringen die Umgebung des Lagers akustisch in den Ausstellungsraum. Ein weiterer Aspekt meiner künstlerischen Auseinandersetzung sind die vielen Gegenstände, die im ehemaligen Lager gefunden wurden und nicht in Vitrinen gezeigt werden, die aber dennoch einen großen inhaltlichen Wert haben. Ich hatte die Möglichkeit, einen Raum mit den Funden zu bespielen, und habe aus ihnen sieben bildhauerische Arbeiten gefertigt. Es war für mich sehr eindrücklich und berührend, all die Fundstücke in meinen Händen zu halten und dadurch eine haptische Erfahrung mit dem Ort und seiner Geschichte zu gewinnen. Während ich die Arbeiten konzipierte, musste ich mir immer wieder vor Augen führen, was ich in den Händen hielt, vor allem, wenn es Fragmente von Waffen waren, wie die Überreste von Kartuschen für Granaten oder Patronenhülsen. Es war stets ein sehr befremdliches Gefühl, diese Dinge, die mir so fern sind, zu berühren. Das konfrontierte mich unausweichlich mit der Vergangenheit Deutschlands, für die ich keine Worte finde – und doch wären sie notwendig, um mit dieser Vergangenheit adäquat umzugehen. Mit den bildhauerischen Arbeiten hadere ich am meisten. Es war für mich sehr schwierig, eine passende Herangehensweise zu den Objekten zu finden. Wie kann man künstlerisch und skulptural Gegenstände aus der NS-Zeit so präsentieren, dass es durchdacht, aber nicht plakativ und oberflächlich ist? Wie kann man Militaria zeigen, ohne sie zu ästhetisieren? Auf diese Fragen habe ich weiterhin keine klaren Antworten parat und es fällt mir schwer zu entscheiden, ob ich eine gute oder eine eher problematische Form des Umgangs mit den Funden gewählt habe. Ich habe die Skulpturen weitestgehend nüchtern und schlicht gehalten und nur das Nötigste hinzugefügt. Dennoch würde ich sie als ästhetisch bezeichnen und ich frage mich, ob das im Kontrast zu einer respektvollen Auseinandersetzung mit dem Lager und mit der NS-Zeit steht. Gleichzeitig kann eine andere Form der Präsentation der Funde als eine wissenschaftliche, beispielsweise in Form von künstlerischen Arbeiten, neue Aspekte in der Betrachtung und der Sichtbarkeit erzielen. Und darum geht es im Grunde: eine Zeit wieder sichtbar werden zu lassen, die in Vergessenheit zu geraten droht. Dies gilt auch für die dritte künstlerische Arbeit der Ausstellung. Im Zentrum des gesamten Ausstellungsraumes wird ein zwölf Meter langes Leinentuch präsentiert, auf dem im Kollektiv die Namen der 261 bekannten Opfer des Kriegsgefangenenlagers im Rehburger Forst gestickt wurden. Anfang 2024 öffneten wir dafür einen Raum, in dem jede:r willkommen war, sich am Besticken des Tuches zu beteiligen. Es war ein Versuch, die Vergangenheit wieder etwas näher an die Gegenwart zu rücken, und somit ein Zeichen gegen das Vergessen. Diese 261 Namen stehen in erster Linie für sich selbst, aber auch für die vielen Menschen, die ihr Leben im Zweiten Weltkrieg während der nationalsozialistischen Diktatur verloren haben und die niemals vergessen werden dürfen. Für diese Arbeit war es von großer Bedeutung, dass das Besticken des Lakens öffentlich erfolgte. Es ist wichtig, dass alle Menschen in Deutschland ihre Verantwortung in Bezug auf den Umgang mit der Vergangenheit erkennen und sich so, wie es ihnen möglich ist, an der Erinnerungskultur beteiligen. Dafür steht auch dieses Laken. Die kollektive Arbeit war für mich eine ganz neue Erfahrung und es hat mich sehr gefreut, dass es viele verschiedene Menschen gab, die sich an dem großen Vorhaben beteiligen wollten. Es war eine neue Art der Annäherung an die internierten Kriegsgefangenen: Bei jedem Namen, den ich stickte, überlegte ich, wie der Mensch, der hinter diesem Namen steht, wohl gewesen war, wer er vor dem Krieg war und was mit ihm geschah – eine unweigerliche Folge der langwierigen Arbeit des Stickens. Ich denke, dass es ein wichtiger Aspekt einer guten Erinnerungskultur ist, sich auch den Einzelfällen zu widmen und zu erkennen, dass hinter all den Zahlen und Fakten schließlich Menschen stehen. Dieses Laken ist für mich somit auch ein Symbol für Menschlichkeit und Empathie. In meiner Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Stolpersteine Rehburg-Loccum habe ich sehr viel über die deutsche Geschichte gelernt, die immer noch so eng mit der Gegenwart verbunden ist. Mehr denn je wurde mir bewusst, wie tiefgreifend die Spuren sind, die die Diktatur des Nationalsozialismus auf allen Ebenen der Gesellschaft hinterlassen hat. Ich durfte die Funde in meinen eigenen Händen halten, jeden einzelnen Namen derer lesen und schreiben, die Opfer dieses Lagers im Forst waren. Dadurch erhielt ich die Möglichkeit, ihnen und ihrer Zeit näherzukommen, und das empfinde ich als großes Privileg. Ich dachte auch viel über die ehrenamtliche Arbeit meiner Kolleg:innen nach. Die Menschen, mit denen ich die Ausstellung gemeinsam konzipierte, sind großteils zwischen 60 und 70 Jahre alt; somit war ich die jüngste Person in dieser Gruppe. Es war für mich eine sehr bereichernde Erfahrung, an so einem generationenübergreifenden Projekt mitwirken zu können, doch sie warf auch Fragen auf: Wieso war ich als einzige Person aus meiner Altersgruppe an dieser Ausstellung beteiligt? Wo verorten sich junge Menschen in Bezug auf die Aufarbeitung des Nationalsozialismus? Die Erinnerungen an diese Zeit scheinen von Generation zu Generation immer mehr zu verwässern und ich kenne kaum Personen in meinem Alter, die sich noch aktiv mit dieser Zeit beschäftigen. Natürlich sind viele Menschen politisch aktiv und setzen sich gegen diskriminierende Strukturen jeglicher Art in unserer Gesellschaft ein. Meine Generation ist durchaus politisch. Doch manchmal scheint die Betrachtung der Vergangenheit in Bezug auf die Gegenwart an Relevanz zu verlieren, was teilweise auch verständlich ist. Die vielen Krisen unserer Zeit verlangen uns unsere ganze Aufmerksamkeit ab und lassen es deshalb kaum zu, sich mit Vergangenem zu beschäftigen. Allerdings sind diese beiden Zeiten so eng miteinander verbunden, dass es kaum möglich ist, sie getrennt voneinander zu betrachten. Wir haben als letzte Generation noch die Möglichkeit, mit Zeitzeug:innen zu sprechen und von ihnen zu lernen. Meine Altersgruppe trägt dadurch maßgeblich die Verantwortung mit, wie wir in Deutschland weiterhin mit den kostbaren Erinnerungen der vorherigen Generationen umgehen: Ob wir sie vergessen oder ob wir sie sicher verwahren, um immer und immer wieder zu erinnern, dass sich die Geschichte auf keinen Fall wiederholen darf. Wenn ich hier über die Zeit des Nationalsozialismus spreche, komme ich nicht umhin, sie mit der Gegenwart in Kontext zu setzen. Ein globaler Rechtsruck ist nicht mehr zu leugnen. Die erneute Wahl Donald Trumps, der erschreckende Aufschwung der AfD, die illiberale, rechte Regierung Ungarns im Herzen Europas sind nur ein paar Beispiele, die ich hier anführen kann. Die Liste ist bedeutend länger, und je umfangreicher sie wird, desto unbegreiflicher ist es für mich, wie es dazu kommen konnte. Wie kann es sein, dass in dem Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin, eine rechtsextreme Partei eine derartige Zustimmung erfährt? Ausgerechnet in Deutschland? Die Zeit des Nationalsozialismus darf nicht in Vergessenheit geraten und es liegt in der Verantwortung einer jeden Person in unserem Land sich dafür einzusetzen. Umso wichtiger ist die Arbeit von Gruppen wie der des Arbeitskreises Stolpersteine Rehburg-Loccum, die sich ehrenamtlich und auf vielen Ebenen für eine gute Erinnerungskultur und eine bessere Gesellschaft engagieren. Ihre Arbeit schenkt mir Mut und Zuversicht und lässt mich daran glauben, dass es hier viele Menschen gibt, die sich gegen diskriminierende Strukturen in unserer Gesellschaft einsetzen. Sie machen mir Hoffnung für unsere Zukunft. Linn Bergmann , aufgewachsen in Berlin, studiert Freie Kunst an der HBK Braunschweig in der Fachklasse für Bildhauerei bei Thomas Rentmeister. Mit einem suchenden Blick erforscht sie die Zusammenhänge unserer Gesellschaft und Umwelt. In ihrer Einzelausstellung “Fossilis - Durch Graben gewonnen” nähert sie sich künstlerisch der Zeit des Nationalsozialismus an, wobei die Erinnerungskultur ein zentrales Thema ist. 01

  • Issue 5 Editorial | appropriate!

    Issue 5 Editorial | appropriate! Iss ue 5│ Klimanotstand Anker 1 Editorial Lena Götzinger, Martin Krenn Issue 5 von appropriate! beschäftigt sich im Anschluss an die Tagung „Kunst im Klimanotstand“, die am 6. Dezember 2023 an der HBK Braunschweig stattfand, mit der Rolle von Kunst, Künstler:innen und Kunstinstitutionen im Klimaschutz und setzt sich mit der Frage auseinander, was der Leugnung der menschen-gemachten Erderhitzung entgegengesetzt werden kann. Schon lange gibt es wissenschaftliche Daten, die belegen, dass Klimaschutz und ungehindertes Wirtschaftswachstum nicht miteinander vereinbar sind, da Zweiteres mit der Ausbeutung des Planeten einhergeht: Wohlstand und Wachstum haben ein Ende, wenn die Ressourcen, auf denen sie aufbauen, knapp werden. Brennende Wälder, zunehmende Wasserknappheit und der zur Neige gehende Vorrat an fossilen Brennstoffen gekoppelt mit der globalen Erderhitzung machen es notwendig, die Wirtschaft und damit verbunden auch den Kunstbetrieb anders zu organisieren, als dies bisher der Fall war. 2019 riefen die Tate-Museen den Klimanotstand aus. Sie wollten mit diesem Schritt vor der globalen Erderhitzung warnen und zugleich ihre CO 2 -Bilanz senken. Unter Künstler:innen und Aktivist:innen war dieses Thema kein neues: Bereits in den 1990ern arbeiteten viele von ihnen zum Klima-wandel. Zu diesen Künstler:innen zählt Oliver Ressler, der von Lena Götzinger zur Verschränkung von Kunst und Aktivismus, die man in den letzten Jahren innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegungen zunehmend beobachten kann, befragt wird. Ihr Text „Über Kunst und Klimaaktivismus“ beschäftigt sich mit den Potenzialen, die von dieser Liaison ausgehen – sei es durch das Imaginieren greifbarer Zukunftsperspektiven oder durch die Entwicklung neuer Formen des Protests und zivilen Ungehorsams. Doch wird im Gespräch auch ersichtlich, dass es neben der Einbeziehung von Kunst- und Kulturproduzent:innen vielfältige Allianzen mit einer Bandbreite an gesellschaftlichen Akteur:innen braucht, damit der Kampf für Klimagerechtigkeit gelingen kann. Pinar Doğantekin befasst sich in ihrem Text „Artistic Resistance“ mit der Ausstellung „Invasive Species“ der Künstler:innen Agnė Stirnė, Oskaras Stirna und Eglė Plytnikaitė, die ein Bewusstsein für die verheerenden Auswirkungen von Krieg und Militäroffensiven auf die Umwelt schaffen wollen. Anhand des russischen Angriffs-kriegs gegen die Ukraine analysiert der Text, wie ein gezielter Ökozid betrieben wird, um die Lebensgrundlage der ukrainischen Bevölkerung sowie die lokale Biodiversität zu zerstören und das Land auf lange Sicht unbewohnbar zu machen. Hye Hyun Kim und Paul-Can Atlama sprechen in ihrem Interview mit Christoph Platz-Gallus über den Kunstverein als grüne Institution. Platz-Gallus ist seit 2022 der neue Direktor des Kunstvereins Hannover und somit dafür verantwortlich, die 2023 beschlossene Nachhaltigkeitsstrategie des Kunstvereins an-zuleiten. Rita Macedo wird von Genady Arkhipau über ihren Film „Farewell recording for an observer of an unknown time and place“ und über die Rolle, die zeitgenössische Kunst und verschiedene Kunstmedien im Klimaaktivismus spielen, befragt. Macedos Film ist ein essayistischer Exkurs über Kapitalismus, Umwelt, Technologie und Tod und schafft eine „teils spekulative Geschichte der Zukunft und Darstellung der Weltbildung“. Der Apfel im Zusammenhang mit Kunst und Klimawandel steht im Zentrum des Gesprächs, das Selin Aksu, Anika Ammermann und Jonna Baumann mit Antje Majewski geführt haben. In ihrer Arbeit zeigt die Künstlerin konkrete Handlungsmöglichkeiten auf, wie den vielschichtigen Problemen des Klimanotstandes begegnet werden kann. Zentraler Bestandteil eines Ausstellungsprojektes, das Majewski mit Paweł Freisler an unterschiedlichen Orten durchgeführt hat, ist das Pflanzen von alten Apfelbaumsorten. Die alten Sorten sind laut Majewski insofern relevant, da sie aufgrund ihrer weniger intensiven Nutzung noch Resistenzen haben. Ursula Ströbele analysiert in ihrem Text „Natur als Versprechen? Pflanzen als skulpturale Elemente in der Architektur der Moderne und Gegenwart“ die Funktion von vegetabilen Fassaden anhand historischer und aktueller Beispiele. „[Sie] agieren wie eine schützende Mauer, die Blicke ebenso abhält wie Lärm- und Luftverschmutzung. Anstatt konturierter Stasis präsentieren diese Gebäude in ihrer Ästhetik des Transitorischen eine veränderliche, wachsende Silhouette mit jahreszeiten- und witterungsbedingter Zeitlichkeit.“ Ströbele merkt jedoch kritisch an, dass bei vielen preisgekrönten Bauten dieser ökologische Anspruch nur oberflächlich eingelöst werde und das „Versprechen eines Rückgriffs auf die Erste Natur“ zu „einem illustrativen Green Washing“ verkommen würde. Sam Evans beleuchtet in ihrem Text „Von Natur und Kultur“ mögliche Positionen, die Kunst und Vermittlung in der Klimakrise einnehmen können, um das ökologische Bewusstsein sowie die Verbundenheit zur Natur zu stärken. Als geeignete Bühne für die Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe wählt sie den Wald, in dem wir oft unmittelbar mit den Auswirkungen des menschen-gemachten Klimawandels konfrontiert sind und der zugleich erlebnisorientierte Perspektivenwechsel ermöglichen kann. In ausgewählten Beispielen wird ersichtlich, wie der Wald als politischer Raum eröffnet werden kann. Sarah Hegenbart wurde von der Redaktion eingeladen, die Publikation „Demokratieplattform: Platz_nehmen“, die wie dieses Journal von der Kunstvermittlung der HBK Braunschweig herausgegeben wurde, unter die Lupe zu nehmen. Sie kritisiert, dass in der Publikation unklar bleibt, auf welchen Demokratiebegriff die Demokratieplattform: Platz_nehmen rekurrieren würde, und führt aus, wie wichtig es ist, ein „demokratische[s] Referenzmodell“ zu haben, um Demokratisierung voranzutreiben. Anna Niemann rezensiert „Saving Democracy“, die zweite Publikation, die dieses Jahr von der Kunstvermittlung der HBK herausgegeben wurde. Sie hebt die „Symbiose aus (wissenschaftlicher) Theorie und (künstlerischer) Praxis“ positiv hervor und merkt an, dass sich diese auch in dem kunst- vermittlerischen Projekt „Enlightening the Parliament“, das im zweiten Teil des Buches dokumentiert wird, manifestieren würde. Der Band sei „mit seinen umfangreichen Positionen – theoretischer und künstlerischer Art – in sich bereits ein demokratisches Projekt“ und rege „nicht nur zum Mit- und Weiterdenken, sondern zu demokratischer Partizipation an“. Benno Hauswaldt rezensiert „Roadside Picnics – Encounters with the Uncanny“, eine Anthologie, die von Victor Muñoz Sanz und Alkistis Thomidou im Kontext eines Aufenthaltsstipendiums an der Akademie Schloss Solitude, Stuttgart, herausgegeben wurde. Lena Götzinger, Martin Krenn Die Redaktion des Issue 5: Klimanotstand Lena Götzinger , geboren 1999 in Wolfsburg, ist Studentin der Freien Kunst und Kunstvermittlung bei Professor Lutz Braun und Professor PhD Martin Krenn an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Als freiberufliche Mitarbeiterin leitet sie Führungen und Workshops im Kunstmuseum Wolfsburg. Martin Krenn , PhD, geboren 1970 in Wien, ist Künstler, Kurator und Professor für Freie Kunst mit dem Schwerpunkt Kunstvermittlung an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig sowie Dozent im Vienna Master of Arts in Applied Human Rights an der Universität für angewandte Kunst Wien. Krenn verschränkt in seiner Praxis Kunst mit sozialem Engagement. Seine dialogischen Vermittlungsprojekte, Fotoarbeiten und Filme widmen sich schwer-punktmäßig der Rassismuskritik sowie der Erinnerungs- und Gedenkarbeit. Er ist Herausgeber diverser Kunstpublikationen und Autor zahlreicher Texte zu sozialer Kunst und Kunstvermittlung. 01

  • Issue 6 | appropriate!

    Partizipation und Agonismus Benno Hauswaldt im Gespräch mit Markus Miessen Iss ue 6│ Antifaschismus Anker 1 Partizipation und Agonismus Benno Hauswaldt im Gespräch mit Markus Miessen Bild 1 Bild 2 Bild 3 Bild 4 Bild 5 Bild 6 Ähnlich wie der Begriff der Nachhaltigkeit scheint auch der Begriff der Partizipation immer mehr politisch verwässert und zum Selbstzweck zu werden. Der Architekt Markus Miessen plädiert in seinem Buch The Nightmare of Participation für eine Form der Partizipation, die mit einer politischen und ästhetischen Theorie verbunden ist – eine Koniktpartizipation, eine Verbindung von Partizipation und Agonismus* , in der er ein Potenzial sieht: Es geht darum, Konikte als Chance für Diskussion und Veränderung zu verstehen, anstatt sie zu vermeiden oder zu unterdrücken. Im Interview erklärt er: „Konikt ist für mich jetzt in dem Fall nicht irgendwie negativ belegt, wie etwa ein bewaffneter oder ein physischer Konikt, sondern er ist eine Diskursantwort auf eine Konsenspolitik, die jahrelang gefahren wurde und die in England unter New Labour ihren Höhepunkt hatte und sich dort besonders absurd gezeigt hat.“ In Miessens Erfahrung nutzen Architekturprojekte wie Projekte der Raum- und Stadtplanung Partizipation oft nicht, um Macht demokratisch zu verteilen, sondern um Verantwortung abzugeben und im Nachhinein sagen zu können: Wir haben ja alle gefragt. Dabei bleibt die Frage nach wirklicher Zugänglichkeit, nach einer Abgabe von Autor:innenschaft und Hierarchie oft vernachlässigt. „Wenn zum Beispiel für eine Stadt ein großes neues Projekt geplant ist, in dem sich die Bevölkerung der Stadt mit einbringen kann, werden meistens an Samstagen WorkshopFormate angeboten, wo keiner hinkommen kann. Und dann gibt es diese Runden. Dieses Roundtable-Prinzip fand ich immer ein bisschen schwierig – oder zumindest als einziges Tool schwierig –, weil das für mich auch signalisiert, dass man sich immer noch in diesem Diskurs bendet, dieser ‚Ticking Box Politics‘. Dass versucht wird, Partizipation relativ schnell abzuhandeln als eine Art temporären Möglichkeitsraum, in dem Leute zwar dazukommen, aber es ist im Grunde genommen eine Abendveranstaltung oder eine Gesprächsrunde, nach der sich wieder alle in ihre Realität verabschieden.“ Abseits von einem romantischen Partizipationsbegriff sucht Miessen Ansätze, in denen Kritik produktiv sein kann, in denen Handlungsoptionen und eine interesselose (also nicht auf Eigeninteresse abzielende) gegenseitige Involvierung gefunden werden können. Miessen spricht von einer adisziplinären Praxis, für die er den Begriff des Crossbenching nutzt. Diese ist ein Aufruf dazu, sich nicht herauszuhalten, sondern sich aktiv einzumischen: eine Methode der Zusammenarbeit, in der es unerheblich wird, aus welchen Disziplinen die einzelnen Beteiligten kommen. Einige Ansätze aus dem gleichnamigen Buch sind etwa die Aufnahme von Künstler:innen in Verwaltungsstrukturen, das Sichtbarmachen von Kämpfen in den Bereichen Migration und Antirassismus, das Hinterfragen der weltweiten Verbreitung von Bildern, das Überdenken der Städtebaupolitik, die Erneuerung von bezahlbarem Wohnraum und vieles mehr (Miessen 2016: 70). Miessen besteht dabei darauf, dass auch diese Aufzählung verbessert, umgewandelt, gekapert und in Frage gestellt werden sollte und dass, „wenn man wirklich politisch involviert werden will, die politische Rolle, die man spielen kann, die des einzelnen Individuums ist: man selbst“ (Miessen 2016: 72). Dieses Individuum, das sich politisch einmischt und einbringt, ohne mandatiert zu sein, beschreibt der Autor als einen „uninvited outsider“. „Diese Rolle von dem Außenseiter ist jetzt nicht unbedingt zu verstehen als jemand, der sich explizit und bewusst als Außenseiter platziert, sondern in der Frage, ist man eingeladen oder ist man nicht eingeladen? Ist man mandatiert oder nicht mandatiert? Oder was bedeutet überhaupt, in einer Rolle als Designer ohne Mandat zu agieren? Da geht es auch darum, dass die Projekte darauf aus sind, Verantwortung zu übernehmen.“ In einem ästhetischen Kontext – zu dem auch ästhetische Theorie sowie alle Rollenbeschreibungen wie die von Künstler:innen, Kurator:innen oder Architekt:innen zählen – ist eine Beteiligung an Projekten, und damit auch eine Eigenverantwortlichkeit, nahezu immer gegeben. In einem Umfeld, in dem zunehmend Räume von rechter Seite eingenommen, geschaffen und genutzt werden, stellt sich die Frage, was ästhetische Disziplinen und Praktiken an Gegenentwürfen und Perspektiven herstellen können. Welche Werkzeuge können entwickelt werden, die sich mit Konsens oder Dissens im Sinne einer produktiven Methode zur Entscheidungsndung auseinandersetzen? Miessen interessiert sich hier für den passenden Begriff der Einmischung (Miessen 2020: 73). Dabei geht es ihm um Einmischung an sich, aber ebenso darum, Einmischung von anderen zu ermöglichen. „Für mich war der Begriff der Einmischung deshalb von Interesse, weil er einen Möglichkeitsraum schafft. Man kann endlos lange versuchen, in Raumdiskurse reinzugehen, die bereits existieren, die von Rechten aufgemacht wurden, oder man versucht durch eine Art Gegengewicht andere Räume zu schaffen, die das entweder widerlegen oder die versuchen, andere Möglichkeiten aufzumachen. Da sieht man auch ganz gut, wie begrenzt die Architektur in ihrer Möglichkeit ist, direkt zu agieren oder auch schnell zu agieren. Architektur ist grundsätzlich ein sehr langsames Metier. Wenn man von wirklich gebauter Umwelt spricht, also Architektur als begrenzte, gebaute Umwelt, dann sind das oft Zeitspannen von drei bis fünf Jahren, in denen ein Projekt umgesetzt wird.“ So kann klassische Architektur einer Konjunktur rechter Räume nur wenig oder nur sehr langsam etwas entgegensetzen, während eine kritische Raumpraxis, die auf eine schnell umsetzbare Einmischung und die Einrichtung einer Horizontalität aus ist, effektiver darin ist, Diskursräume und neue Möglichkeiten der Zusammenkunft zu schaffen. Oder eben auch bestehende Strukturen zu kritisieren und zurückzubauen: „Das ist ein Thema im Diskurs über rechte Räume, das sehr wichtig ist, glaube ich, dass man es schafft, diese Thresholds und diese Punkte abzubauen, wo du das Gefühl hast, dass du als Außenstehender erst mal einen bestimmten Punkt überwinden musst, um dich irgendwie einbringen zu können. Und eigentlich ist diese Schwelle normalerweise auch nicht existent oder zumindest nicht hoch. Das sind ja oft psychische Barrieren.“ So bedeutet Einmischung in einem aktuellen Projekt im NS-Dokumentationszentrum München, an dem das Studio Miessen beteiligt ist, dass es nicht nur einen Nachdenk- und Kommunikationsprozess gibt, sondern dass gemeinsam mit der derzeitigen Direktorin Mirjam Zadoff überlegt wird, was es für Möglichkeiten gibt, die Institution neu zu denken. Beispielsweise widerspricht das Design des Eingangsbereichs laut Miessen dem, wofür dieses Haus stehen soll. „Also es soll ja ein Ort der Vermittlung, des Austausches und natürlich auch der Übermittlung von historischem Wissen und historischen Fakten sein, aber so wie das in der Vergangenheit da stattgefunden hat, war das extrem statisch und kam daher belehrend rüber, aber ohne dass irgendein Austausch stattgefunden hat. Das Projekt hatte irgendwann den Working Title Open Doors. Da ging es dann zum Beispiel auch darum, was ich eigentlich für einen ersten Eindruck bei den Besuchenden produziere. Wenn ich eine Institution betrete, in der ich erst mal einzeln durch eine gesicherte Drehtür durchgehen muss, nur um dann in einem Foyer anzukommen, in dem ein total abweisender Rezeptionstresen steht, der mich an eine Ästhetik von Banklialen in den späten Achtzigern erinnert, an dem man mit einer Person hinter Panzerglas durch ein Mikro spricht, ist das nicht gerade niedrigschwellig oder einladend. Und dann ging ein sehr langsamer Prozess los, von zwei Jahren, wo wir im Austausch mit den Architekten, die dieses Haus gebaut haben, immer wieder versucht haben herauszunden, wie man teilweise die Sachen rückbauen kann, wie können die auch ihre Autorenschaft aufgeben, damit wir da interagieren können.“ Das Ausstellungsprojekt eröffnet zum 80. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 2025 in München. Neben einer diskursiven Möbelarchitektur entstehen eine Vermittlungsetage und verschiedene Formate, die Besucher:innen einbeziehen sollen. In einem weiteren aktuellen Projekt Miessens, den Esch Clinics in Luxemburg, arbeitet das Studio Miessen an konkreten Fragestellungen zur Demokratie und der Zukunft der Stadt. Im Zentrum steht, wie politische Entscheidungsstrukturen konkret verändert werden können und wie eine Zusammenarbeit mit dem politischen Mittelbau funktionieren kann, die über eine Legislaturperiode hinausgeht. Hier liegt ein Fokus auf städtischer Administration, also auf Strukturen, die unmittelbar Entscheidungen umsetzen können. „Da geht es im Grunde genommen darum, über die nächsten drei Jahre Fragen zu Demokratie und Urban Commons zu stellen. Wir haben als Teil des Projekts ein Residency-Programm gegründet, in dem wir über den gesamten Zeitraum mit 65 Akteurinnen und Akteuren aus diversen Feldern und Disziplinen zusammenarbeiten, die wir nach Esch einladen, um mit uns in Gesprächsformaten an konkreten Fragestellungen und Unterprojekten zu arbeiten. Das eigentliche Projekt, an dem wir mit den Esch Clinics arbeiten, ist ein Set of Policy Recommendations, das im Winter 2027 der Politik auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene übergeben wird. Und um zu verhindern, dass die Recommendations einfach in der Schublade verschwinden, machen wir vorher über ein halbes Jahr lang im öffentlichen Raum in Luxemburg eine politische Kampagne, die sich mit diesen Themen auseinandersetzt und die eine Awareness in der Öffentlichkeit schafft, damit sie medial so präsent sind, dass man sie von politischer Seite nicht ignorieren kann. Das Projekt ist dahingehend horizontal, dass die Öffentlichkeit von Anfang an sehr stark involviert ist.“ In der Fußgängerzone von Esch wurde hierfür ein Satellit gegründet, der als Mischung aus Laden, Lokal, Büro und Diskursraum fungiert, in dem verschiedene Austauschformate stattnden. „Viele von den Akteuren und Akteurinnen, mit denen wir in dem Projekt zusammenarbeiten, arbeiten dann auch an konkreten Projekten mit Gruppen aus der Öffentlichkeit und Stakeholdern in Luxemburg zusammen. Und in diesem Projekt [Democracy Next] arbeiten sie zum Beispiel über zwei Jahre an der Umsetzung von Strukturwandel innerhalb der Verwaltung der Stadt, wo dann eine permanente Citizen Assembly (Bürger:innenversammlung) eingeführt wird. Das ist eigentlich das Projekt, das am meisten Vorarbeit gebraucht hat. Da sind wir schon seit mehr als zwei Jahren dran. Vor allem auf der politischen Ebene habe ich da ein Jahr lang Klinken geputzt und geschaut, dass wir so eine Art Grundstimmung herstellen, damit die politisch Verantwortlichen überhaupt bereit sind, so ein Projekt machen zu wollen. Denn das bedeutet für sie auch, dass sie relativ viel Macht abgeben.“ Diese Citizen Assembly soll langfristig in die Stadtpolitik eingeschrieben werden und so auch Teil des Verwaltungsapparates werden. Die daran beteiligten Personen werden ausgelost und für ihr Engagement, ihr Einmischen und ihr Sicheinbringen kompensiert. „Was ein großes Problem ist und ein Grund, warum diese Strukturen, zum Beispiel unter Tony Blair, nicht funktioniert haben, ist, dass die Leute, die Partizipation als politisches Tool benutzen, dies in dem Wissen tun, dass viele Leute sich gar nicht einbringen können. Wenn es jetzt zum Beispiel einen offenen runden Tisch am Samstagnachmittag gibt, wo gibt es da eine Kinderbetreuung, wie kriegen arbeitende Personen, die von Montag bis Freitag im Büro sitzen, bei denen Samstag der Tag ist, an dem sie alles organisieren müssen, wie kriegen die so etwas überhaupt unter? Nämlich nicht. Und unter der Woche schon mal gar nicht. Das heißt, da sind ökonomische Aspekte und Fragen von Care äußerst wichtig.“ Das alles sind Punkte, die zusammengebracht werden müssen, um ein Design und damit eine Situation zu kreieren, in der es wirklich eine horizontale Möglichkeit der Einmischung geben kann. „Ob die dann tatsächlich wahrgenommen wird, ist natürlich noch mal eine andere Frage. Wie kriegt man es hin, dass sich zum Beispiel wohnungslose Personen auch angesprochen fühlen? Denn bei diesen Sortition-Prozessen (Auslosungsprozessen) ist es so, dass alle Bürger:innen der Stadt ganz am Anfang zunächst eine Einladung bekommen, in der sie angeben können, ob sie grundsätzlich daran interessiert sind, daran teilzunehmen. Und die erhältst du natürlich normalerweise nur, wenn du gemeldet bist, weil sie an deine Postadresse kommt.“ Ergo ist auch die Berücksichtigung von Personen, die postalisch nicht registriert sind, eine Entscheidung, die im Design eine Rolle spielen muss. Markus Miessen is an architect, writer, and Professor of Urban Regeneration at UniLu, where he holds the Chair of the City of Esch. Miessen has previously taught at the AA, The Berlage, Städelschule, USC LA, and has been a Harvard Fellow. His work revolves around questions of critical spatial practice, institution building, and spatial politics. As a spatial consultant, he currently works with The Munich Documentation Center for the History of National Socialism. Amongst many other books and writings, Miessen is the author of “The Nightmare of Participation” and “Crossbenching”. Since 2025, he is also the Dean’s Visiting Professor at Columbia GSAPP, New York. https://studiomiessen.com/ https://culturesofassembly.org/ https://www.nsdoku.de/open-doors https://www.sternberg-press.com/product/agonistic-assemblies/ https://glean.art/articles/agnostic-assemblies Benno Hauswaldt , geboren 1998 in München, absolviert nach dem Diplom in Freier Kunst den Master-Studiengang Kunstwissenschaften. Literatur Miessen, Markus, 2012. Albtraum Partizipation. Berlin: Merve Verlag Miessen, Markus, 2016. Crossbenching. Berlin: Merve Verlag Miessen, Markus, Einleitung, 2020. In: Markus Miessen, Zoë Ritts (Hrsg.), Para-Plattformen, S. 72–74. Leipzig: Merve Verlag * Der Mouffe’sche Agonismus ist eine Theorie, die die potenziell positiven Aspekte von Konikten betont. 01 Anker 001

  • Issue 3 Night Audition | appropriate

    Manuel Bendig, Linus Jantzen, Annika Niemann Issue 3 │ Vermittlung Anker 1 Night Audition – das Recht auf Opazität Manuel Bendig, Linus Jantzen, Annika Niemann Foto: Victoria Tomaschko (c) 2022 Foto: Victoria Tomaschko (c) 2022 Foto: Victoria Tomaschko (c) 2022 Foto: Victoria Tomaschko (c) 2022 Foto: Victoria Tomaschko (c) 2022 Foto: Victoria Tomaschko (c) 2022 Bild: Bendig, Jantzen, Niemann (c) 2022 Bild: Bendig, Jantzen, Niemann (c) 2022 Bild: Bendig, Jantzen, Niemann (c) 2022 Bild: Bendig, Jantzen, Niemann (c) 2022 Wie passen Vermittlung und Unverständlichkeit / Undurchdringlichkeit zusammen? Auf welche Grenzen, welche Widerstände stoßen wir, wenn wir das Recht auf Opazität[1] in Kunstvermittlungskontexten zur Disposition stellen? Der folgende Text reflektiert einen experimentellen Vermittlungsworkshop, der im Februar 2022 von den Autor:innen dieses Beitrags im Rahmen der Ausstellung „Gods Moving in Places“ in der ifa-Galerie Berlin (2022) realisiert wurde. Der experimentelle Workshop „Night Audition“ eröffnete einen spielerischen Einstieg zum Konzept der Opazität, um dem dekolonialen Anspruch auf Intransparenz und Unverständlichkeit näherzukommen. Der Schriftsteller, Theoretiker, Aktivist und Philosoph Édouard Glissant (1928–2011), Referenz- und Bezugspunkt für „Gods Moving in Places“, verteidigt dieses Recht auf Opazität (das Undurchdringliche). Bringt jede:r das Recht darauf selbst mit? Wie können wir uns zu künstlerischen Arbeiten in Beziehung setzen, ohne sie „verstehen“ zu wollen? Die zweiteilige Ausstellung „Gods Moving in Places“ ergründete das politische Potenzial der karibischen und guyanischen Imagination. Die hier versammelten künstlerischen Arbeiten beschäftigten sich mit den Erinnerungen, Erzählungen und Geschichten, die diese Vorstellungswelt geprägt haben, mit indigenen Mythologien und der gewaltsamen Eroberung des südamerikanischen Kontinents. Der von dem Künstler Mathieu Kleyebe Abbonenc gemeinsam mit Lea Altner zusammengestellte erste Teil der Ausstellung, in dessen Rahmen das Vermittlungsformat realisiert wurde, zeigte Arbeiten von Minia Biabiany, Karl Joseph, Mirtho Linguet, Beatriz Santiago Muñoz, Marcel Pinas, Pamela Colman-Smith und Apichatpong Weerasethakul und war vom 28.01. bis 13.03.2022 in der ifa-Galerie in Berlin zu sehen. Grundlegend für erste Schritte der Vorbereitung – noch vor der Konzeption des Workshopformats – war es, den Kontext der Ausstellung „Gods Moving in Places“ kennenzulernen, um diesen in unserem Vermittlungsformat so gut es ging nahelegen und für die Teilnehmer:innen nachvollziehbar machen zu können. Teil dieser Auseinandersetzung war es, die Konzepte zu Opazität, Tropischer Nacht[2] und Kreolisierung[3] im Werk Glissants, einem der Vordenker des Postkolonialismusdiskurses, in den Denkprozess einzuladen. Édouard Glissant ist ein Name, um den sich Geschichte schreiben lässt: Édouard Glissant, politischer Kämpfer des antikolonialen Widerstands. Édouard Glissant, geboren auf – und im Laufe seines Lebens aufgrund seiner politischen Aktivitäten und Forderungen von seiner Heimat exiliert von – Martinique, einer jener karibischen Inseln, die heute, im 21. Jahrhundert, noch als sogenannte Überseedépartements von Frankreich – als eine Fortwirkung des französischen Kolonialismus – fortbestehen. Im akademischen Umfeld, so auch der Kontext, in dem dieser Workshop entstanden ist, wurde Glissant in den Geistes- und Kulturwissenschaften und – etwas verspätet – auch in den Kunstwissenschaften im Diskurs durchaus angenommen. Konzepte der Kreolisierung und Opazität wurden in vielen Formen produktiv gemacht, nicht nur im Bereich der Antirassismusforschung, sondern weit verzweigt in dekolonialen Praktiken. Praktiken, die sich auf unterschiedliche Weise als Empowerment-Strategien manifestieren wie auch eurozentrische Geschichtsschreibung relativieren. Kann daraus ein Beteiligtsein – im Sinne eines Sich-nicht-herausnehmen-Könnens aus einer rhizomatischen Vernetzung der Weltbeziehungen – initiiert werden? Im akademischen Kontext muss das als Frage formuliert werden. Denn in den mehrheitlich weiß[4] geprägten deutschen Wissenschaftseinrichtungen lässt sich eine Lücke feststellen. Von der Auseinandersetzung mit den philosophischen Begriffen Glissants auf der einen Seite – dem Interesse daran, diese verstehen zu wollen und in theoretischer Arbeit produktiv zu machen – hin zu einer Entfaltung ihrer politischen Wirkung auf der anderen Seite – vergleichbar mit jener Vehemenz, wie sie sich etwa in aktivistischen Kämpfen außerhalb der Institutionen äußert und als politisches Mittel eingesetzt wird – sind kaum Verbindungslinien gespannt. Glissant verband die Opazität nicht ohne Grund mit einem Recht bzw. Anspruch der:des Einzelnen darauf, diese für sich persönlich als eine solche Empowerment-Strategie geltend machen zu können. Den Workshop in die Tat umzusetzen, bot die Gelegenheit, eben diese Lücke etwas anzuheben. Es konnten dabei ein Austausch entstehen und die eigene Positionierung mit Glissants Begriffen und literarischen Beschreibungen in Beziehung gesetzt werden. Worüber schreibt Glissant? Sein Œuvre ist vielseitig und über die Zeit seiner schriftstellerischen Tätigkeit sehr unterschiedlich ausgerichtet, dennoch gibt es zentrale Themen: Vielheit und Austausch. Unbewusste „Vermischung“[5] (Bevölkerung, kreolische Sprachen etc.). Nicht eine Wurzel der Geschichte. Vielmehr: Die Weltgesamtheit als ein verwobenes Geflecht von Beziehungen. Eine Annäherung: Tropische Nacht und Opazität In der Ausstellung führte ein kurzes Video von Guy Deslauriers[6] in Glissants Denken ein. In diesem Filmporträt entwickelt Glissant seine Gedanken zur „tropischen Nacht", ein Konzept, das sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung zieht: „I think that... the tropical night, for the people who were once deprived, colonised and oppressed, is the time when we challenge history, when we fundamentally challenge history.” Und weiter: „In the tropical night, waves of potpourri float on the air. There are waves of smells, and there are waves of shapes that move. They go away, they walk, they come to us and they speak to us.“[7] Er entwirft die tropische Nacht als einen Raum, der uns Zugang zu anderen Wissensformen und anderen Ebenen der Wirklichkeit ermöglicht. Der Ausstellungstitel „Gods Moving in Places“, einem Interview mit dem karibischen Autor Wilson Harris entlehnt, bezieht sich auf die Geister und Wesen, die aus der tropischen Nacht hervorgehen und uns auf andere Art und Weise „informieren". Die Undurchdringlichkeit der tropischen Nacht mit ihren Geistern führt uns zum Konzept der Opazität, das ein zentraler Bestandteil von Glissants Weltsicht ist. Forderungen nach Opazität beschreiben das Recht des Einzelnen, sich dem Zugriff, der Einordnung und der Kategorisierung von außen zu entziehen. Wir entfernen uns mithilfe der Opazität (nach Glissant) von einer vor allem westlich geprägten Verwendung der „Transparenz“ (im Hinblick auf die Erfahrung der Sklaverei und der nachwirkenden Traumata), die jeden Aspekt des Lebens nach eigenen Klassifikationsmodellen zu beurteilen und einzuordnen versucht. Dadurch lernen wir, dass nicht alle Kategorien fixierbar sein müssen. Wichtig ist, dass es sich hierbei nicht um eine Kritik am Bedürfnis nach Verständlichkeit per se handelt, sondern darum, diese Verständlichkeit als Voraussetzung für ein Miteinander darzustellen. Ausgeführt: die Vermittlung Für das Vermittlungskonzept wurde ein Ablauf entworfen, der die Teilnehmer:innen in zwei Bewegungen des Sammelns und Ausschwärmens im Galerieraum in ein Spiel der Handlungen und Interaktionen versetzen sollte. Auf ein Set von 50 Karten wurde jeweils ein Zitat von Glissant geschrieben und mit einem Handlungsimpuls in Verbindung gebracht. Diese Karten luden die Teilnehmer:innen ein, sich der Ausstellung aus einer bestimmten Perspektive – gewissermaßen durch die poetische Brille Glissants – zu nähern. „Mit dem Archipelischen Denken kennen wir die Steine in den Bächen, bis zu den kleinsten von ihnen, und wir betrachten die Schattenlöcher, die sie zeigen oder verdecken.“[8] (Édouard Glissant) Aus diesen Perspektiven heraus kamen Handlungen und Interaktionen sowohl zwischen den Kunstwerken und den bereitgestellten Materialien als auch zwischen den Teilnehmenden des Workshops zustande. Dies ermöglichte eine neue, vielleicht im besten Sinne Glissants, chaotische Kontaktaufnahme innerhalb des Ausstellungsraums. Eine, die sich um die Beteiligten schlang und die sich zeigte, zwischen den Mitteln unserer Wahrnehmung und des aneinander und am Außen Festhaltens, des sich einander Ausdrückens. Etwa, in dem ein:e Teilnehmer:in den Impuls, die Schattenlöcher im Raum zu skizzieren, in eine Markierung der von der Lichtregie der Ausstellungsarchitektur unberücksichtigten Raumnischen übersetzte, während ein:e andere:r eben diese Nischen mit der Frage nach den eigenen Intransparenzen kommentierte. Ein Akt der Durchmischung des Ausstellungsraums und seiner Konstellationen. All dies veränderte die Herangehensweise an die künstlerischen Arbeiten im Raum. Zugleich wurde jede Karte in gewisser Weise zu einer Ansichtskarte, geschaffen in dem Moment, in dem sie in der Ausstellung in Beziehung gesetzt bzw. gelegt wurde. „Relation contaminates, sweetens, as a principle, or as flower dust.”[9] (Édouard Glissant) Von Sinnen im Raum Eine raumgreifende Installation der Künstlerin Minia Biabiany strukturierte den Galerieraum: Ein aus Erdlinien gewebtes Muster leitete die Besucher:innen durch die Ausstellung; darin kreisrunde, schwarze Wasserflächen, die Bilder, Stimmungen, Bewegungen im Ausstellungsraum spiegelten und Blicke zurückwarfen. Auch die Projektion des Videos „Pawòl sé van“ (2020), in dem die Künstlerin die Widerstandsfähigkeit der Natur der karibischen Inselgruppe Guadeloupe angesichts der fortwährenden Ausbeutung durch die Plantagenwirtschaft und der Kontamination durch Pestizide poetisch untersucht. Nach der ersten Intervention der Teilnehmenden im Raum schwebt ein weißes Papierbötchen auf einer der Wasserstellen. Eine Grenzüberschreitung? Darf man das? Tun wir der Arbeit der Künstlerin damit Gewalt an? Stören wir damit das kuratorische Konzept? Aber, wirft eine Teilnehmerin ein, will Kunst nicht genau das – eine Reaktion hervorrufen? Es geht darum, sagt eine andere, die Irritation auszuhalten, die Grenzverschiebung wahrzunehmen, anstatt zu bewerten. Und dennoch: Ist nicht überhaupt die ganze durch das Vermittlungskonzept vorgeschlagene Lesart einer Ausstellung durch Zitate eine gewaltvolle Brille, die den kuratorischen Gestus verfälscht? Und tun wir Glissants Arbeit Gewalt an, wenn wir Zitate ihrem Kontext entreißen? In der zweiten Durchmischung werden Zitatkarten zerrissen, transformiert, in den Raum gestreut. Ich möchte das Recht auf Opazität willkommen heißen. Ich möchte meine und die Wahrheiten meiner Mitmenschen nicht auf das Maß einer einzigen Transparenz reduzieren. Denn das, was nicht zu durchschauen ist und verborgen bleibt, kann über Klarheit verfügen. Unverständliches besitzt Unmissverständlichkeit. Dahingehend vermittelt uns die Opazität keine Gesetzlosigkeit, sondern jedes Individuum bestimmt den eigenen Rahmen dessen, was preisgegeben werden soll. Somit kann dieser Grundgedanke oberflächlich divergente, jedoch gleichwertige Details von den Orten der Welt versammeln, ohne einige von ihnen herabzusetzen und andere aufzuwerten. Aufgrund dessen entstehen im zugänglichen Raum der Möglichkeiten facettenreiche Dimensionen des Seienden, wodurch die Reduktion auf eine allumfassende sowie kategorisierende Logik überflüssig wird. „Die Spur ist auch gangbare Form dieses Wissens. Man folgt ihr nicht, um auf bequeme Wege zu gelangen, sie bestimmt zu der ihr eigenen Wahrheit, nämlich der Explosion, die verführerische Norm in Alles aufzulösen.“[10] (Édouard Glissant) Das Einfordern eines Rechts auf Opazität stößt auf Widerstand. Das Verstehen-Wollen, das Nachvollziehen-Wollen, das Wissen-Wollen, der Wunsch nach Durchschauen und Begreifen ist mächtig. Plötzlich steht unsere westliche Monstranz – die Aufklärung – zur Disposition. Ein:e Teilnehmer:in ist besorgt: Müssen wir jetzt unseren Herder vergessen? Die Verteidigungsrhetorik wird in Stellung gebracht, das einst mühsam gelernte und anerkannte Vokabular ausgepackt. Wir antworten mit eben jenen Schattenlöchern. Während sie in der Phase der Durchmischung den Blick dahin lenkten, wo die Ausstellungsmacher:innen ihn nicht haben wollen – in die versteckten Winkel; in die dunklen Ecken; auf die Rückseite des Displays –, lenken wir nun den Blick auf die Schattenlöcher der Aufklärung. Auf ihre Abgründe, ohne die sie nicht zu denken ist. Auf ihre Verstrickung in „Praktiken kolonialer Vermessung, Eroberung und Unterwerfung der Welt“[11] . Auf die mit der Aufklärung verbundene wissenschaftliche Einordnung, Kategorisierung und Hierarchisierung von Wissensbeständen, die den Weg zu ihrer gewaltvollen Aneignung und Ausbeutung ebneten. Die Aufklärung verlernen? Verlernen bedeutet Verlust. Und Verlust schmerzt. Schmerz führt zu Widerstand. Widerstand ist also ein Zeichen, dass etwas in Bewegung gerät. Widerstand kann sich zeigen, indem sich Teilnehmer:innen entziehen und verweigern. Auch darin liegt ein Recht auf Opazität, das anzuerkennen ist. „Denn du hast das Recht unverständlich zu sein, zuallererst für dich selbst.“[12] (Édouard Glissant) Manuel Bendig, Linus Jantzen und Annika Niemann interessieren sich für machtkritische, kollaborative Denkprozesse und Vermittlungspraktiken in Form von künstlerischer Forschung. Manuel Bendig studiert im MA Kunstwissenschaften an der HBK Braunschweig. In seinen Arbeiten geht es um intersektionale, künstlerische Forschung an den Schnittstellen zu dekolonialen Praktiken, Institutionskritik, queer studies und Fototheorie. Linus Jantzen studiert im MA Kunstwissenschaften mit einem fototheoretischen Schwerpunkt an der HBK Braunschweig und beschäftigt sich in seiner eigenen künstlerischen Praxis mit Motiven des Vergessens und „Vergessenwerdens“. Annika Niemann ist Kunstvermittlerin, Kulturagentin für kreative Schulen Berlin und zurzeit Verwaltungsprofessorin für Kunstvermittlung am Institut für Performative Praxis, Kunst und Bildung der HBK Braunschweig. Endnoten [1] Das „Recht auf Opazität“ wird von Édouard Glissant benannt und eingefordert, vgl. Glissant, Édouard, 1997. Poetics of Relation. Michigan Press. S. 187 ff. [2] weiterführend zu Tropischer Nacht siehe S. 3 [3] Zu Kreolisierung schreibt Glissant – übersetzt ins Deutsche – wie folgt: „Sie ist eine Mischung, insbesondere eine Mischung der Kulturen, die Unvorhersehbares herstellt.“ Glissant, Édouard, 2005. Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit. Wunderhorn. S. 81 [4] weiß ist hier als politischer Begriff kursiv gesetzt, um diese soziale Konstruktion, die strukturell mit Privilegien und rassistischen Hierarchien verbunden ist, klar zu markieren. [5] „Vermischung“ als eine Erfahrung von Kreolisierung, die nur als unbewusste, mit einem ungewissen Ausgang, geschieht. [6] Deslauriers, Guy/Glissant, Édouard, 1996. Édouard Glissant. Un siècle d´écrivains. Film director: Guy Deslaurier. Video, 4 min. [7] ebd. English subtitle [8] Glissant, Édouard, 2021. Philosophie der Weltbeziehung. Poesie der Weite. Wunderhorn. S. 38 [9] Glissant, Édouard, 1997. Poetics of Relation. Michigan Press. S. 185 [10] Glissant, Édouard, 2005. Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit. Wunderhorn. S. 52 [11] Broeck, Sabine, 2011. Aufklärung. In: Arndt, Susan/Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.). (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache – Ein kritisches Nachschlagewerk. Unrast Verlag. S. 232 [12] Glissant, Édouard, 2021. Philosophie der Weltbeziehung. Poesie der Weite. Wunderhorn, S. 58 1

  • Artistic Resistance: Lithuanian Installation Sheds Light on Ecological Warfare in Ukraine

    Pinar Dogantekin in conversation with Christian Kehrt, Agnė Stirnė, Oskaras Stirna and Eglė Plytnikaitė Iss ue 5│ Klimanotstand Anker 1 Artistic Resistance: Lithuanian Installation Sheds Light on Ecological Warfare in Ukraine Pinar Doğantekin The installation Invasive Species was first exhibited at the NATO Summit in Lithuania in 2023. © Denis Veja Close-up of the Invasive Species installation. © Denis Veja The ongoing Russian war of aggression in Ukraine is not only having a devastating impact on the human population but is also leading to unprecedented ecocide. A Lithuanian artists' collective wants to use its art to draw attention to the destruction of the environment. The war against Ukraine could possibly be the first war in which environmental crimes are almost completely documented. Normally, armed conflicts focus almost exclusively on human issues. It remains a mystery how many trees go up in flames as a result of bombing, how much oil leaks into the ground from war machines and how many wild animals starve to death. Such details often remain unknown. "Environmental warfare aims to destroy the enemy's livelihood" A look at past wars gives an idea of the long-term consequences that ecosystems in Ukraine could experience as a result of the current situation and possible future conflicts. "During the First World War, entire landscapes were destroyed for decades by continuous bombardment with conventional artillery ammunition, some hills were even eroded by several meters. These former lunar landscapes and battlefields are so contaminated with arsenic, lead, zinc and other heavy metals from shells and ordnance that even more than 100 years later, only a few grasses still grow here”, explains Dr. Christian Kehrt, Professor for the History of Science and Technology at the Technical University of Braunschweig. According to Kehrt, there were efforts during the Cold War to research the artificial manipulation of rain and cloud formations and use it for military purposes. "The aim of environmental warfare is to destroy the enemy's livelihood", explains the expert. The use of Agent Orange in the Vietnam War is also a well-known and drastic example of a modern and devastating form of environmental warfare. Unfortunately, Russian warfare in Ukraine fits seamlessly into this form of warfare, too. Dimensions of the environmental damage in the Ukraine war The Ukrainian government estimates the environmental damage caused by the destruction of the Nova Kakhovka dam alone at almost 1.4 billion euros. The destruction of the dam caused tons of oil to flow into the Dnipro River and landmines to drift into the Black Sea. The ecocide caused by the dam disaster has too many dimensions to list them all individually. The commonly used term "negative impact" does not adequately capture the serious economic, humanitarian and ecological consequences of this unique war crime. There are several categories of serious and long-term environmental damage: loss of irrigation systems for farms, drying out of the landscape, loss of water supply and sanitation for cities and settlements, health problems related to cholera and other pollution-related diseases. And most importantly, massive habitat loss, long-term ecosystem degradation and the loss of numerous aquatic species and biodiversity, not only in the protected areas of the immediate river and estuary ecosystem, but also in the much larger areas associated with these ecosystems. Monitoring and measuring environmental damage in war zones is extremely difficult. However, much of the monitoring can be done indirectly through satellite monitoring systems, many of which focus on changes in the environment. For example, NASA's Earth Observing System (EOS) has a number of satellites that focus on measuring land use, agricultural production, forest growth and associated diseases, and water quality, also during the war in Ukraine. But it's not just about the costs for Ukraine. Ecosystems have no borders. The consequences of these environmental disasters reach the whole world. Installation “Invasive Species” visualizes the ecological consequences of occupation and ecocide In order to make this complex topic accessible to people in a different way, the Lithuanian artist trio consisting of Agnė Stirnė, Oskaras Stirna and Eglė Plytnikaitė have created a thought-provoking installation. Entitled "Invasive Species", the project aims to raise awareness of the devastating effects of military actions on biodiversity and native vegetation, while also drawing attention to the long-term consequences for occupied territories. The installation shows the Sosnowsky's hogweed, a highly poisonous invasive plant named after a Russian botanist, but also known as Stalin's grass or Stalin's revenge. ”This dangerous invasive plant, originally from the Caucasian mountains, was introduced to Lithuania, Ukraine and other countries occupied by Russia as a silage plant during the Second World War”, explains artist Agnė Stirnė. "However, Russian botanists did not foresee how invasive the plant would become once it was established in a warmer climate with much better growing conditions." The plant overwhelms and crowds out all other species growing nearby. “A Sosnowsky's head can produce over 100,000 seeds and is incredibly difficult to eradicate as it can regrow from a tiny piece of root”, explains Stirnė. The plant itself is on average 2.5 to 3 meters tall when fully grown, and these characteristics of the plant make it a dangerous occupier of nature. "A parallel between the Russian occupation and the invasiveness of Sosnowky is very vivid", says Stirnė. The installation aims to transport the viewer to an environment that has been devastated by war-related ecocide. The artists used dried Sosnovsky plants, which they painted black to simulate burnt Ukrainian trees and land destroyed by bombs. The dried hogweed hangs from a structure, allowing it to interact with the wind. This concept mirrors similar elements of environmental warfare by imperialist states. From certain perspectives, it becomes difficult to tell where is up and down in the installation. "This concept parallels the battlefield, where it is difficult to understand where the ground ends and the sky begins”, describes artist Eglė Plytnikaitė. "Currently, eight nature reserves and ten national parks in Ukraine are under Russian occupation”, says Plytnikaitė. The attack has reportedly affected 1.24 million hectares of environmental land, the equivalent of about 1.7 million soccer fields, with another 3 million hectares of forest devastated by the invasion, equivalent to 4.2 million soccer fields. In addition, Russian warfare on Ukrainian territory has brought 880 plant species and 600 animals to the brink of extinction. "Sosnovsky's hogweed is practicing its form of ecocide by eradicating all plant species growing under it and becoming a fitting symbol of Russian aggression”, says Plytnikaitė. Will Russia be charged with ecocide? Russia has deliberately and shamelessly violated all norms of the civilized world and attacked the Ukrainian population and the environment in the most heinous way. In Ukraine, criminal liability for ecocide exists in the form of a prison sentence of eight to fifteen years for "massive destruction of flora or fauna, poisoning of the atmosphere or water resources, as well as other actions that can cause an environmental disaster" (Article 441 of the Criminal Code of Ukraine). The destruction of the Kakhovka dam by the Russian armed forces is considered a clear case of ecocide. The question of whether Russia will be held responsible remains open. The jurisdiction of the International Criminal Court (ICC) currently includes genocide, crimes against humanity, war crimes and the crime of aggression. In March 2023, the European Parliament voted in favor of including the term "ecocide" in EU law, driven by the Kachovka Dam disaster. References Opanasenko, Oleksandr, 2022. Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Ukraine-Analyse Nr. 288. Bundeszentrale für Politische Bildung. Visited: 09.01.2024 https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/nr-288/541010/analyse-die-oekologischen-folgen-des-russischen-angriffskrieges-in-der-ukraine/ Stakhiv, Eugene / Demydenko, Andriy, 2023. Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms. Ukraine-Analyse Nr. 288. Bundeszentrale für Politische Bildung Visited: 28.12.2023 https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/nr-288/541011/analyse-oekozid-die- katastrophalen-folgen-der-zerstoerung-des-kachowka-staudamms/ Christian Kehrt is Professor of History of Science and Technology at the Technical University Braunschweig. He works in the fields of environmental history, military history, and the history of science and technology. Agnė Stirnė , Oskaras Stirna and Eglė Plytnikaitė are three Lithuanian artists shaping the art scene with their unique perspectives. Eglė excels in conceptual art and nature activism, Oskaras blends nature and technology in sculptural forms, while Agnė explores rare plants and artistic expressions with #experimentalbotanics. Together, they represent a fusion of conceptual art, spatial design, and experimental botany. Pinar Doğantekin studied Media and Art Sciences in her Bachelor's degree at the University of Fine Arts in Braunschweig. Additionally, she pursued a Master's degree in "Culture of the Technoscientific World" in Braunschweig, engaging in discussions on political issues at the intersection of humanities, natural sciences, and technology. She works as a reporter in radio, as a podcast host, and writes for the stern magazine. 01

  • Editorial | Issue 4 | appropriate!

    Lena Götzinger, Paula Andrea Knust Rosales, Martin Krenn, Julika Teubert, Mahlet Wolde Georgis Iss ue 4│ Machtverhalten Anker 1 Editorial Lena Götzinger, Paula Andrea Knust Rosales, Martin Krenn, Julika Teubert, Mahlet Wolde Georgis Obwohl die Gegenwartskunst nach Autonomie strebt und über weite Strecken liberale Positionen vertritt, ist der globalisierte Kunstbetrieb von den vorherrschenden gesellschaftlichen Machtverhältnissen nicht ausgenommen. Sowohl Kunstschaffende, Kunstausstellende, Kunstvermittler:innen, Kunstkritiker:innen als auch Kunstrezipient:innen sind von Neoliberalismus, Diskriminierung und ungleichen ökonomischen Verhältnissen in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Innerhalb von und zwischen diesen Gruppen existieren Abhängigkeitsverhältnisse und die Akteur:innen sind gezwungen, sich in diesem komplexen Wechselspiel der Macht zu bewegen und zu positionieren. Entscheidungen über die Verteilung von und den Zugang zu Mitteln im Kunstbetrieb – wie beispielsweise die Vergabe von Stiftungsförderungen und Stipendien, öffentliche und private Ankäufe von Kunst – oder auch die Kunstvermittlung in Bildungsinstitutionen wie Schulen oder Universitäten sind als zentrale Faktoren dafür (mit-)verantwortlich, wer welche Kunst machen kann und welche Kunstpraktiken sich etablieren können. Aus diesem Grund ist es wichtig, in Projekten, Institutionen und Ausstellungssituationen zu reflektieren, wer in welcher Position agiert, und zu fragen, unter welchen Umständen diese Positionen verändert oder erweitert werden sollten. Was passiert, wenn etwa Künstler:innen zu Kurator:innen oder Kunstvermittler:innen/Kurator:innen zu Künstler:innen werden? Welche Möglichkeiten, aber auch welche neuen Machtverhältnisse resultieren daraus? Die Machtanalysen des französischen Philosophen Michel Foucault und der Literatur, die seine Ansätze weiterführt, haben die Konzeptkunst, institutionskritische Kunst und kritische Kunstvermittlung maßgeblich beeinflusst. Macht wird als etwas begriffen, das sich einer eindeutigen Definition entzieht, prozesshaft wirkt und in der Gesellschaft zirkuliert. Das bedeutet: Die Individuen einer Gesellschaft haben nicht einfach mehr oder weniger Macht, sondern sie sind dazu gezwungen, Macht auszuüben und diese zur selben Zeit zu erfahren. Das Machtverhalten einer Person, Gruppe oder Institution ist demnach keine individuelle Praxis mehr, sondern das Produkt und der Ausdruck eines Diskurses. Sprache selbst wird zu einer diskursiven Praxis und jede:r kann in sie und durch sie in vorherrschende Machtverhältnisse eingreifen. In heutigen identitätspolitisch geprägten Diskursen bleibt jedoch die Frage offen, ob ein rein diskursives Machtverständnis tatsächlich ausreichend ist, um politisch etwas zu bewegen. Wenn etwa die konkrete Umverteilung von Macht und ökonomischen Mitteln in einer Institution angestrebt wird, dann müssen die engagierten Akteur:innen die „akademische Komfortzone” verlassen und meist auch ein persönliches Risiko eingehen, damit das jeweilige Ziel erreicht werden kann. Politisches Engagement kann schließlich auch zu einer Verschlechterung der eigenen Situation führen und politische Kämpfe erfordern von den Akteur:innen Durchhaltevermögen. Kämpfe gegen Diskriminierung ziehen sich meist über mehrere Generationen. In diesem Issue des Webjournals „appropriate!“ werden deshalb auch historische Kämpfe gegen Rassismus thematisiert und welche Bedeutung sie für den Aktivismus von heute haben. Insgesamt neun Beiträge beschäftigen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit dem Thema Machtverhalten. Unter anderem wurden zwei Gespräche geführt, die sich mit der documenta fifteen befassen: Die letzte documenta wurde erstmals von einem Kollektiv, der indonesischen Gruppe ruangrupa, kuratiert, die mit lumbung eine neue kuratorische und künstlerische Praxis in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückte. Ziel war es, neue Verteilungsmodelle von Ressourcen einzuführen, die Solidarität zwischen allen beteiligten Künstler:innen zu stärken und Sichtbarkeit für künstlerische Positionen des globalen Südens zu schaffen. Darüber, ob diese Ambitionen erfolgreich umgesetzt wurden und wertvolle Perspektiven für Möglichkeiten der Umgestaltung von Kunstinstitutionen und Machtstrukturen liefern, haben Lena Götzinger und Mahlet Wolde Georgis mit dem Künstler Dan Perjovschi gesprochen, der in seiner eigenen Praxis politische, institutionelle und soziale Machtstrukturen reflektiert und auf der documenta fifteen ausstellte. Anna Darmstädter und Julika Teubert sprachen mit Nick Schamborski, ehemalige:r sobat, über den Konflikt zwischen dem Konzept ruangrupas und den durch die documenta gGmbH vorgegebenen Rahmen- und Arbeitsbedingungen der sobat-sobat genannten Kunstvermittler:innen auf der documenta fifteen. Außerdem sprachen sie darüber, wie sich die organisierten sobat-sobat das lumbung-Konzept aneigneten. Schließlich teilte Nick Schamborski mit uns Gedanken und Ideen dazu, wie sich die Situation für Kunstvermittler:innen auf zukünftigen Ausstellungen verbessern ließe. Im Praxisteil finden sich drei Beiträge, die in unterschiedlichen Kontexten Aspekte von Machtverhalten untersuchen. Maja Zipf beschäftigt sich aus ihrer Erfahrung als Kunstvermittlerin mit der Frage, wie sich nicht nur mittels kritischer Kunstvermittlung der Kunst ästhetisch angenähert werden kann, sondern auch wie existierende, implizite Machtverteilungen im Kunstbetrieb hinterfragt und über die Beschäftigung mit Kunst neu verhandelt werden können. Rituale können für Nicola Feuerhahn Formen von Selbstermächtigung sein. In ihrem Text, der von Ritualen in der Kunst und ihrer Vermittlung handelt, untersucht sie, wie Wertesysteme und Machtzuschreibungen ein Stück weit unabhängig vom strukturell Vorgegebenen gemacht werden können. Lennart Koch und Esra von Konatzki berichten von einer kollaborativen Fotoarbeit und einer in diesem Kontext konzipierten Ausstellung, die in Büroräumen des Kunstvereins Braunschweig zu sehen sein wird. Durch das Einbeziehen von vertraulichem Archivmaterial des Kunstvereins bilden sie einen Dialog zwischen dem Objekt und dem Ort der Ausstellung und untersuchen diese Partner auf ihre jeweiligen Inhalte und Verhältnisse. Das Private und das Öffentliche im Kontext von Professionalität, Arbeitsumfeld und der Diversität von Macht stehen dabei im Fokus ihrer Analyse. Neben einer Besprechung der vor Kurzem von den sobat-sobat der documenta fifteen herausgegebenen Publikation „Ever Been Friendzoned by an Institution?” finden sich in dieser Ausgabe drei Gastbeiträge: von Johanna Franke und Katrin Hassler, von Araba Evelyn Johnston-Arthur sowie von Isabel Raabe. Johanna Franke und Katrin Hassler untersuchen in ihrem gemeinsamen Textbeitrag geschlechts- und herkunftsabhängige Machtverhältnisse im Kunstfeld anhand der empirischen Auswertung von Statistiken zur Vergabe dreier renommierter deutscher Museumspreise. Dabei decken sie nicht nur bemerkenswerte Geschlechterasymmetrien auf, sondern ermitteln außerdem, wie intersektionale Verschränkungen zwischen Geschlecht, Herkunft und dem Aufenthaltsort von Künstler:innen die Vergabe von Kunstpreisen beeinflussen. Die Autorin Araba Evelyn Johnston-Arthur bezieht sich in ihrem Beitrag auf ihre Forschungen zu den antikolonialen Widerständen im postnazistischen Österreich, die antikoloniale Rassismuskritik von PASUA (Pan African Students Union of Austria) und ihrer Vorsitzenden Unokanma Okonjo, die bereits in den frühen 1960er-Jahre aktiv war, und darauf, wie diese Kämpfe ihre eigene Arbeit und aktivistische Praxis bereichern bzw. wie historische antirassistischen Kämpfe in Wien in der Gegenwart weitergeführt werden können. Isabel Raabe schreibt darüber, welche Rolle die Dekolonisierung von Wissen spielt, um kolonial geprägte eurozentristische, weiße Machtstrukturen aufzubrechen. Dabei spricht sie unter anderem über das von ihr mit initiierte Projekt „TALKING OBJECTS – Decolonizing Knowledge“, das nach dem Prinzip der Polyperspektivität von einem Team aus Senegal, Kenia und Deutschland kuratiert wird. Sie erklärt, wie epistemische Gewalt von Museen und Institutionen in Europa ausgeübt wird, und widmet sich der Frage, was es braucht, um die herrschenden Machtverhältnisse zu überwinden. Die Redaktion des Issue 4: Machtverhalten setzt sich zusammen aus: Lena Götzinger, Paula Andrea Knust Rosales, Martin Krenn, Julika Teubert, Mahlet Wolde Georgis Lena Götzinger, geboren 1999 in Wolfsburg, ist seit 2020 Studentin der Freien Kunst sowie der Kunstvermittlung an der HBK Braunschweig und seit Issue 4 Teil der appropriate!-Redaktion. Während ihrer Schulzeit verbrachte sie ein Jahr als Austauschschülerin in den USA und absolvierte nach ihrem Abschluss ein Freiwilliges Soziales Jahr beim Projekt "Für Demokratie Courage zeigen”. Paula A. Knust Rosales, geboren 1998, studiert Freie Kunst, aktuell in der Klasse der Professorin Natalie Czech sowie Kunstvermittlung bei Professor Martin Krenn. Seit der zweiten Ausgabe des „appropriate! – Journal zur Aneignung und Vermittlung von Kunst“ ist sie beständiges Mitglied der Redaktion. Martin Krenn, PhD, geboren 1970 in Wien, ist Künstler, Kurator und Professor für freie Kunst mit dem Schwerpunkt Kunstvermittlung an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig sowie Dozent im Vienna Master of Arts in Applied Human Rights an der Universität für angewandte Kunst Wien. Krenn verschränkt in seiner Praxis Kunst mit sozialem Engagement. Seine dialogischen Vermittlungsprojekte, Fotoarbeiten und Filme widmen sich schwerpunktmäßig der Rassismuskritik sowie der Erinnerungs- und Gedenkarbeit. Er ist Herausgeber diverser Kunstpublikationen und Autor zahlreicher Texte zu sozialer Kunst und Kunstvermittlung. Julika Teubert, geboren 1995 in Berlin, ist sowohl Künstlerin als auch Kunstvermittlerin und studiert aktuell Freie Kunst bei der Professorin Isabel Nuño de Buen sowie Kunstvermittlung bei Professor PhD Martin Krenn an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Sie ist Mitbegründerin des „appropriate! – Journal zur Aneignung und Vermittlung von Kunst“ und arbeitet seit zwei Jahren als ständiges Redaktionsmitglied und Autorin an der Entwicklung und Umsetzung der bisherigen vier Ausgaben des Webjournals. Mahlet Ketema Wolde Georgis (*1997) ist seit 2019 Studentin der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und studiert Kunstwissenschaft mit dem Nebenfach Geschichte an der Technischen Universität Braunschweig. Ihr Ziel ist es, sich auf zeitgenössische afrikanische Kunst zu konzentrieren und mehr darüber zu erfahren, wie Kunst und Kunstinstitutionen dazu beitragen können, Dialoge zwischen verschiedenen Welten einzuführen und Räume für Begegnungen zu schaffen. 1

  • Viral gehen und vergehen | appropriate!

    von Elena Korowin Iss ue 6│ Antifaschismus Anker 1 Viral gehen und vergehen Elena Korowin © weareukraine.info und @lovestepan Putin und Selenskyj als Harry Potter Figuren © @KAWU Seleskyj als Captain Ukraine, © @seladadefruta Repost des Videos vom singenden Mädchen im Bunker vom 7. März, 2022 auf X. Post eines KI generierten Bildes vom ständigen Ausschuss des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten vom 9. September, 2024 auf X. In den ersten Monaten nach dem Beginn der großflächigen Invasion Russlands in der Ukraine im Februar 2022 ging vieles viral – Memes, Sprüche, Personen. Manches, das in den ersten Kriegsmonaten viel Anklang fand, ist schnell wieder aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwunden. An Marina Owsjannikowa mit ihrem Protestplakat im russischen Staatsfernsehen erinnert sich kaum noch jemand. Catfluencer wie „Stepan“ verbreiten weiter Informationen über Kriegsereignisse, verpackt in nonchalanten Cat-Content. Memes, die sich über Putin als filmreifen Bösewicht mokieren, sind nach wie vor präsent. Auch in russischsprachigen sozialen Netzwerken breiten sich – als Legitimation für den Zermürbungskrieg – weiter Informationen darüber aus, dass die Ukraine vom Faschismus befreit werden muss. Viral gehen einfache Bilder und Formeln, die verständlich und affordant [1] sind, Held:innenbilder und simple Gleichungen von Gut und Böse. Es gibt keine Viralitätsformel für abwägende, reflektierte Gedanken, für Relationen und Aufforderungen nach tiefer gehenden Analysen und Untersuchungen. Die virale Welt ist die des Schusses und Gegenschusses, eine schnelle Verbreitung von lauten Meinungen, die Aufmerksamkeit generieren. So funktioniert auch der Informationskrieg (Korowin 2023). Kriegsbilder aus der Ukraine, aus dem Gaza-Streifen, dem Libanon und anderen Regionen der Welt, die von bewaffneten Konflikten und Kriegen überzogen sind, existieren parallel zu allen anderen Inhalten in den sozialen Netzwerken. In vielen Fällen vermischen sie sich oder gehen ineinander über, wie es etwa bei Content ist, der für Propaganda und Zwecke des Informationskrieges appropriiert wird. Wir sind von Kriegsbildern umgeben, ob wir es wollen oder nicht. Kriegscontent mischt sich mit Rezepten, Pranks und Make-up-Tutorials. Der Informationskrieg durchzieht die Feeds von Verbraucher:innen mittlerweile in allen möglichen Formen. Wie nehmen wir heute Kriege und Krisen wahr? Als einen Teil unseres Scroll-Entertainments? Als verlässliche Information bzw. Nachrichten? Als Möglichkeit einer aktiven Beteiligung? Bilder zu Waffen Die Diskussion um Kriegsbilder spaltet sich üblicherweise in zwei Stränge: Hinsehen und Wegsehen. Bei vielen jungen Menschen, die in Europa geboren wurden, basieren die Vorstellungen vom Krieg nicht auf eigenem Erleben, sondern auf bewegten und unbewegten Bildern. Diese substituieren die nicht vorhandenen Erfahrungen. Bei der Rezeption von Bildern gilt es, aus bildwissenschaftlicher Perspektive eine wichtige Unterscheidung zu treffen. Es geht dabei um die fundamentale Differenz zwischen picture (Abbild) und image (mentales Bild). Zudem argumentieren Vertreter:innen der Bildwissenschaften, dass Bilder nie nur abbilden, sondern das erzeugen, was sie zeigen (Bredekamp 2010). Ihre Bedeutung als Waffen bekamen Bilder spätestens im 20. Jahrhundert mit der Entwicklung der bildgebenden Verfahren. Thesen, die anhand der medial vermittelten Kriege seit Mitte des 19. Jahrhunderts erarbeitet wurden, werden durch die Bilderströme aus der Ukraine erschüttert. Auch die bisherigen Standards der Kriegsberichterstattung wurden seit dem 24. Februar 2022 verändert. Unser medial vermitteltes Bild des Krieges ist eine Mischung aus Abstraktionen, Projektionen, Fiktionen sowie bewussten Inszenierungen und Manipulationen, hinter denen das Realgesicht des Krieges verschwindet (Paul 2009). Die Flut der Bilder aus dem Ukrainekrieg lässt sich nicht in die einzelnen Bildtraditionen unterteilen, sie alle werden gleichzeitig und in enormen Mengen produziert, von Profis und Amateur:innen. Das ermöglicht heute eine nie zuvor da gewesene Multiperspektivität auf den Krieg. Mittlerweile können Fotos von Drohnen, Satelliten, sozialen Medien, Geolokalisierungen, Smartphones u. a. miteinander kombiniert werden und ein völlig neues, umfassendes Bild bieten. Medien kompensieren im asymmetrischen Krieg militärische Unterlegenheit, und nicht nur im digitalen Zeitalter kommunizieren die Konfliktparteien über Gewaltbilder (Paul 2009). Wahrnehmungskrise Die Kriegsfotografie und die Kriegsberichterstattung existieren gegenwärtig zudem parallel zu gefaktem Content aus Videospielen, alten Aufnahmen oder neu generierten KI-Bildern und Videos. Trotz der offensichtlichen und nachgewiesenen Manipulation von Kriegsfotografien ist die grundsätzliche Erwartungshaltung, das Dargestellte sei authentisch, nie völlig vergangen. Vielmehr übernahmen es in den zurückliegenden Jahren Amateuraufnahmen von Handykameras, Authentizität darzustellen. Mit den Smartphones wurde neben der Möglichkeit, situativ Bilder zu machen, auch das Recht etabliert, diese Bilder verbreiten zu können. Parallel dazu entwickelten sich digitale Bilderschwärme und prägten eine neue Ästhetik der Zeugenschaft, die sich von professioneller Fotografie unterschied und sich dadurch als authentischer sowie näher am Geschehen positionierte. Im digitalen Zeitalter sieht man den Bildern in aller Regel ihren Inszenierungs- und Manipulationscharakter nicht mehr an. Selbst Körnungen und Unschärfe können über Filterfunktionen vorgenommen werden, um Bilder oder Videos authentischer erscheinen zu lassen. Durch soziale Medien verlieren Bilder allerdings auch ihre Orientierungskraft. Denn um sich mit solchen Aufnahmen ein Bild der Lage machen zu können, müsste man erst einmal einschätzen, wer den jeweiligen Account betreibt und welche Interessen dahinter stehen (Eilenberger et al. 2022). Im Februar 2022 kamen verschiedene Falschmeldungen aus der Ukraine, die entweder aus Computerspielen stammten, ältere Aufnahmen waren oder während anderer Kriege aufgenommen worden waren. Diese Bilder und Nachrichten waren nicht sonderlich akkurat manipuliert und dienten der gezielten Provokation (Becker 2022). Mittlerweile gibt es vermehrt Leitfäden zum Erkennen von Fake News (Böhm 2022). Simon Sahner spricht von einer Krise der Wahrnehmung infolge der Menge der Bilder und ihrer fehlenden Verifizierung. In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Möglichkeiten der digitalen Bearbeitung und Verbreitung so rasant weiterentwickelt, dass sich unweigerlich eine kognitive Dissonanz einstellt. Und mehr noch – die Furcht der Menschen beim Betrachten der Bilder ist durchaus real (Sahner 2022). Die Möglichkeiten der Visualisierung lassen die Realität des Krieges für Unbeteiligte verschwinden (Paul 2005). Eine weitere interessante Wendung bekommt die „Rückkopplung der Hyperrealität“[2] des Ukrainekrieges, wenn die Realität in Erzählmuster gedrängt wird (Sahner 2022). Ein Beispiel ist ein Twitter-Video, in dem ein Ausschnitt des Endkampfes aus Avengers: Endgame (2019) mit Untertiteln versehen wird (Rayk 2022). Dabei werden die einzelnen Kriegsparteien durch die Untertitel den kämpfenden Charakteren des Films zugeordnet: Captain America ist Selenskyi, Thanos mit seiner Armee Putin, die sukzessive auftauchenden Superheld:innen sind weitere Handelnde im Ukrainekrieg wie die Klitschkos oder die Bevölkerung Kyjiws. Hier wird eine emotionale Distanz erzeugt und eine Art kollektives Empowerment in Anbetracht einer real stattfindenden Katastrophe gesucht. Dabei wird die Realität in ein vereinfachtes Gut-Böse-Schema amerikanischer Blockbuster gepresst, die in ihren Narrativen teilweise gefährlich einfach gebaut sind. Nach ähnlichen Prinzipien entstehen die meisten Memes und TikTok-Videos. Übertragungen auf popkulturelle Phänomene abstrahieren ein Kriegsgeschehen, das erschreckend konkret ist. Nüchterne Zahlen, die detailliert auflisten, wie viele Soldaten verletzt, gefangen oder gefallen sind, wie viel Kriegsgerät zerstört wurde, sind damit unangenehm nahe an Body-Count-Statistiken in Videospielen mit Kriegsszenario. Spielfilme und Gamifizierung der Realität und der Rezeptions-Produktions-Kreislauf in den sozialen Medien haben eine Form der digitalen Medienrealität erschaffen, die mit der analogen Hyperrealität des Fernsehzeitalters fast nicht mehr greifbar ist und die auch einen Krieg in die Erzählspiralen einspeist, die sich Tag für Tag durchs Internet drehen (Sahner 2022). Gleichzeitig entstehen auf beiden Seiten des Konflikts Propagandavideos, die sich an der Ästhetik der Computerspiele orientieren und sie mit Fakten aus dem realen Kriegsgeschehen vermengen.[3] Die lange Tradition der Kriegsfotografie hat keine weiteren Kriege verhindert und in den seltensten Fällen für Truppenabzüge gesorgt. Das Doomscrolling spiegelt das Verlangen nach solchen Bildern im Sinne des voyeuristischen Blickes wider. Drastische Bilder des Todes sind seit Februar 2022 omnipräsent und verändern nicht nur Standards der Kriegsfotografie, sondern auch die Standards, die die Würde des Menschen betreffen. Viele Angehörige der Opfer aus der Ukraine bestehen auf der Veröffentlichung der Fotos (Ullrich 2022). Für die ukrainische Bevölkerung haben diese Bilder eine andere Funktion: Sie sind gemeinschafts- und identitätsstiftend. Sie mobilisieren und sie dokumentieren. Mit drastischen Inhalten sollte jedoch insbesondere in den sozialen Medien vorsichtig umgegangen werden, da sie wahllos vervielfältigt und mit Text versehen werden können – für empfindliche Inhalte ist es ein gefährlicher Ort (Ullrich 2022). Darstellungen von besonderen Momenten können wirksamer sein, wie etwa das TikTok-Video eines kleinen Mädchens, das im Bunker das Lied aus Disneys „Eiskönigin“ singt.[4] Hier geht es nicht um die explizite Darstellung des Todes, aber seine Anwesenheit ist spürbar. Jeder Krieg des 20. Jahrhunderts wurde durch seine fotografischen Relikte interpretiert und mit neuen Narrativen versehen, manche Ereignisse wurden in neue Zusammenhänge gestellt. Für die zukünftigen Forschenden wird die größte Herausforderung sein, sich in der Menge des Materials zurechtzufinden, und auch die Sicherung der Bildquellen ist bis jetzt unklar. Von der Bildikone zum Metabild Es gibt die These, dass die Bilderschwärme das Ende der Bildikonen bedeuten, weil signifikante Bilder wiederholbar und recyclebar werden (Schankweiler 2019: 61–64). Nicht nur weil es in der heutigen Bilderflut schwieriger ist, das Foto zu finden, das als Referenz für den gesamten Krieg funktionieren kann, sondern vor allem deshalb, weil die ikonischen Bilder früherer Kriege alle in einer bestimmten Konstellation standen – sie waren an die Bevölkerung der Militärmacht, die den Krieg führte, gerichtet und lösten dort Protest aus. Solche Bilder gibt es wegen der Zensur in Russland derzeit aber nicht. Die Bilder, die wir aus der Ukraine zu sehen bekommen, haben eine andere Botschaft: Sie sollen mobilisieren – nach innen wie nach außen. Diese Aufrufe suggerieren einen „Mitmach-Krieg“ und erreichen damit „eine neue Dimension“ der Kriegsführung (Eilenberger et al. 2022). Es mag sein, dass es keine singuläre Aufnahme geben wird, die als Bildikone dieses Krieges bleiben wird. Die Bilderströme des Internets lösen einen aufschlussreichen Prozess aus, der durch die Funktionen unserer Gehirne mitverursacht wird. Es ist unmöglich, sich alle diese Bilder zu merken, und kaum ein Bild sticht hervor, denn sie bedienen zudem altbekannte Ikonografien des Krieges. Es gibt ebenso zahlreiche Produzent:innen wie Distributor:innen dieser Bilder, viele Perspektiven, Narrative usw. Diese Bilder laufen wie ein Endlosstrom durch die Rezeptoren und fügen sich in unserer Erinnerung zu einem Metabild zusammen. Eine Befragung im erweiterten Bekanntenkreis ergab, dass 2022 zwei Metabilder oder Referenzbilder existierten, die als repräsentativ für den Ukrainekrieg stehen können. Dabei ist es eben nicht genau die eine Abbildung im Sinne von picture , sondern ein image , ein mentales Bild, das aus vielen Hunderten oder Tausenden ähnlichen Bildern geformt wird. Das erste Bild waren die Körper toter Zivilist:innen, die bäuchlings in den Straßen von Butscha lagen. Das zweite Bild war das Porträt des ukrainischen Präsidenten Selenskyj in einem grünen Militär-T-Shirt. Für die zukünftige Forschung werden das interessante Motive sein, denn wie die Neurowissenschaft bewiesen hat, vermischen sich in unserem Gedächtnis faktuale und fiktionale Bilder des Krieges: Die Realität der Bilder kann unsere Erinnerungen überspielen. Das ergaben Gespräche mit Kriegsteilnehmer:innen, die sich etwa in den Darstellungen und Sprechweisen der Nachkriegsfilme an den Zweiten Weltkrieg erinnerten (Paul 2005). Wie viel hiervon Verdrängung und traumatische Gedächtnislücken sind, ist schwer nachzuweisen. Was alle Bilder vereint: Sie helfen, nicht zu vergessen, und bestimmen zugleich, was erinnert wird und auf welche Weise. In den Spiralen der sozialen Netzwerke können sie jedoch einfach zum Konsumgut werden, das nur eine kurze Aufmerksamkeitsdauer bekommt und wieder im Abgrund des Internets verschwindet. Die Verbraucher:innen werden in Zukunft auf Apps zurückgreifen müssen, die ihnen eine Navigation zwischen Fakes und Propaganda ermöglichen können. Gleichzeitig ist die Befürchtung groß, dass es immer weniger Bedeutung haben wird, was Fake ist und was nicht – das zeigte uns zuletzt der US-amerikanische Wahlkampf. Auch aktuelle Wahlen in Europa bestätigen diese Entwicklung. Neue Bildpolitiken, die Art und Weise, wie Soziale Medien von rechts gesinnten User:innen benutzt werden, stärken faschistische und autokratische Politiken. Durch Fake News und Desinformationskampagnen werden repräsentative Demokratien gezielt geschwächt und destabilisiert. Dr. Elena Korowin ist Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin und Kunstkritikerin. Ihre Promotion mit dem Titel „Der Russen-Boom. Sowjetische Ausstellungen als Mittel der Diplomatie in der BRD 1970 – 1990“ wurde 2016 mit dem ifa-Forschungspreis für aus-wärtige Kulturpolitik ausgezeichnet. Parallel zur Promotion arbeitete sie als kuratorische Assistentin an der Staatlichen Kunsthalle in Baden-Baden und lehrte an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe im Institut für Kunstwissenschaft und Medien-philosophie. Es folgte eine Postdoc-Stelle im internationalen DFG-Graduiertenkolleg „Kulturtransfer und ‚kulturelle Identität‘“ an der Universität in Freiburg. Veröffentlichungen zu Themen des Kultur-transfers, Gender- und postkolonialen Theorien in Osteuropa, Autonomie, Dissidenz, Nonkonformismus, L’art pour l’art und Cat-content sowie zahlreiche Vorträge im In- und Ausland. Sie lehrt an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und an der Universität Heidelberg. [1] „affordant“ bedeutet so viel wie: zum Handeln bzw. Stellung beziehen auffordern. Mehr dazu: boyd 2014: 17–18. [2] Hyperrealität nach Jean Baudrillard (Der symbolische Tausch und der Tod, 1976) ist ein Abbild von etwas, das es in der Realität nicht gibt. Die Zeichen haben sich vom Bezeichneten gelöst und simulieren eine künstliche Realität als Hyperrealität, anstatt die wirkliche Welt abzubilden. [3] Siehe Avatars for Ukraine, https://www.avatarsforukraine.com/ (abgerufen am 14.11.2022). [4] Young girl sings ,Let it Go‘ inside Ukrainian bomb shelter, in: The Independent auf YouTube vom 07.03.2022, https://www.youtube.com/watch?v=P_zHOBaWfrg (abgerufen am 29.09.2022). 01 Anker 1 Anker 2 Anker 3 Anker 4

  • About | appropriate

    About Wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Zeit, in welcher das Verhältnis zwischen Kunst, Ästhetik, sozial engagierter Praxis und Aktivismus neu ausgehandelt wird. Kunstvermittlung, verstanden als vermittelnde, dialogische und künstlerische Praxis mit zivilgesellschaftlichem Anspruch, rückt hierbei ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Renommierte Institutionen verfolgen den Anspruch, Menschen außerhalb des üblichen Kunstpublikums zu erreichen und in Projekte mit gesellschaftspolitischer Ausrichtung einzubinden. Sozial engagierte Partizipationsprojekte von Künstler:innen und Kunstvermittler:innen werden im internationalen Museums- und Ausstellungsbetrieb immer gefragter. Parallel dazu organisieren sich Künstler:innen und Aktivist:innen weitgehend unabhängig vom etablierten Kunstbetrieb, besetzen öffentliche Räume, organisieren Demonstrationen, realisieren autonome Projekte und vermitteln auf diese Weise Kunst und Demokratie "von unten". Unser Verständnis von Kunstvermittlung endet somit nicht bei der Vermittlung künstlerischer Inhalte, sondern begreift darüber hinaus die Vermittlung selbst als Teil einer gesellschafts- und institutionskritischen Praxis. Kunstvermittlung ist für uns inklusiv, sie erkennt das soziale Potential der Kunst und vermittelt den Rezipent:innen die dialogische Aneignung derselben. Das halbjährlich erscheinende Webjournal appropriate! vertritt die Überzeugung, dass die aktuellen und in den letzten Jahrzehnten in diesem Zusammenhang gewonnen Erfahrungen von Kunstvermittler:innen, Künstler:innen und anderen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen zusammengeführt und auf ihre Wechselwirkungen hin analysiert werden müssen, damit daraus neue Formen der Wissens- und Kunstproduktion entwickelt werden können. Hierfür versammelt die Redaktion dieses Journals pro Ausgabe und entsprechend des jeweiligen Schwerpunktthemas unterschiedliche Postionen der Kunst, Vermittlung und Forschung. Der interdisziplinäre Ansatz des Journals erstreckt sich von der Kunst ausgehend über Bereiche der Inklusionsforschung, Queer-, Cultural-, Visual- und Postcolonial Studies, der Kritischen Sozialwissenschaft, Urbanismusforschung, Soziologie, Politikwissenschaft, bis hin zu Pädagogik und Bildungswissenschaft. Wir möchten durch diesen interdisziplinären Ansatz einen Beitrag zur Vertiefung der Bedeutung der Kunstvermittlung im 21. Jahrhundert leisten und dazu beitragen ihr Potential zur Demokratisierung der Gesellschaft weiter freizusetzen. Martin Krenn , Herausgeber und Redakteur, appropriate! – Journal zur Aneignung und Vermittlung von Kunst, 22.04.2021 appropriate! Journal zur Aneignung und Vermittlung von Kunst ist eine Online-Publikation des Studienganges Kunstvermittlung des Instituts FREIE KUNST der HBK Braunschweig. Leitung: Martin Krenn, Professor für Freie Kunst mit dem Schwerpunkt Kunstvermittlung appropriate.ifk@hbk-bs.de Mitwirkende anchor_mitwirkende Issue 7 | Frühjahr 2026 Redaktion Benno Hauswaldt, Martin Krenn Webdesign Gordon Endt Issue 6 | Frühjahr 2025 Redaktion Lena Götzinger, Benno Hauswaldt, Martin Krenn Lektorat Daniela Kaufmann Judith Kreiner Autor:innen Linn Bergmann, Lena Götzinger, Benno Hauswaldt, Moriz Hertel, Elena Korowin, Nastasia Schmidt, Daphne Schüttkemper, Dimitri Vilenski Interviews mit Saba-Nur Cheema, Markus Miessen, Henrike Naumann Webdesign Gordon Endt Issue 5 | Frühjahr 2024 Redaktion Lena Götzinger Martin Krenn Lektorat Daniela Kaufmann, Judith Kreiner Autor:innen Selin Aksu Anika Ammermann Genady Arkhipau Paul-Can Atlama Jonna Baumann Pinar Doğantekin Sam Evans Lena Götzinger Benno Hauswaldt Sarah Hegenbart Hye Hyun Kim Anna Maria Niemann Ursula Ströbele Interviews mit Christoph Platz-Gallus, Rita Macedo, Antje Majewski, Rita Macedo, Oliver Ressler Webdesign Gordon Endt Issue 4 | Winter 2022/2023 Redaktion Lena Götzinger Paula Andrea Knust Rosales Martin Krenn Julika Teubert Mahlet Wolde Georgis Lektorat Daniela Kaufmann Autor:innen Anna Darmstädter Nicola Feuerhahn Johanna Franke Lena Götzinger Katrin Hassler Araba Evelyn Johnston-Arthur Lennart Koch Esra von Kornatzki Isabel Raabe Julika Teubert Mahlet Wolde Georgis Maja Zipf Issue 3 | Frühjahr 2022 Redaktion Paula Andrea Knust Rosales Martin Krenn Julika Teubert Lektorat Daniela Kaufmann Autor:innen Lynhan Balatbat-Helbock Manuel Bendig Linus Jantzen Annika Niemann Xuan Qiao Karin Schneider Nora Sternfeld Dani-Lou Voigt Ye Xu Issue 2 | Herbst 2021 Redaktion Andreas Baumgartner Paula Andrea Knust Rosales Martin Krenn Julika Teubert Lektorat Daniela Kaufmann Autor:innen Jonna Baumann Andreas Baumgartner Nano Bramkamp Pinar Dogantekin Cedric Gerke Constantin Heller Paula Andrea Knust Rosales Martin Krenn Nanna Lüth Sarai Meyron Lily Pellaud Essi Pellikka Mirl Redmann Daphne Schüttkemper Julika Teubert Interview mit Jens Kastner Lea Susemichel Bożna Wydrowska Issue 1 | Frühjahr 2021 Redaktion Andreas Baumgartner Claas Busche Martin Krenn Marianna Schalbe Julika Teubert Lektorat Daniela Kaufmann Autor:innen Claas Busche Anna Darmstädter Martin Krenn Anna Miethe Suzana Milevska Franziska Peschel Marius Raatz Jana Roprecht Steffen Rudolph Eva Sturm Nick Schamborski Julika Teubert Interview mit Sebastian Bartel Gabriele Sand Jeanne-Marie CC Varain

  • Freundschaft oder Dienstleistung? — die sobat-sobat der documenta fifteen | Issue 4 | appropriate!

    Anna Darmstädter und Julika Teubert im Gespräch mit Nick Schamborski Iss ue 4│ Machtverhalten Anker 1 Freundschaft oder Dienstleistung? — die sobat-sobat der documenta fifteen Anna Darmstädter und Julika Teubert im Gespräch mit Nick Schamborski Nick Schamborski, sobat auf der documenta fifteen, © Huizi Yao Protestaktion der sobat-sobat am 27 August 2022 vor dem Fridericianum, © Theseas Efstathopoulos Die Arbeitsshirts der sobat-sobat vor dem Fridericianum, © Theseas Efstathopoulos Scheinbar neu konzipiert war die Kunstvermittlung der documenta fifteen. Angefangen beim Namen für die Kunstvermittler:innen: sobat-sobat, der indonesische Begriff für Freund:innen oder Gefährt:innen [1 ]. Doch weniger um Freundschaft im Sinne einer langwierigen zwischenmenschlichen Beziehung, als vielmehr um einen Ansatz für eine Gesprächshaltung sollte es auf der documenta fifteen gehen. Eine Vermittlung nicht als Vortrag, sondern als Gespräch, in dem Zugänge zu Räumen, Geschichten und Arbeitsweisen der lumbung-Praxis [2 ] erforscht werden. Die sobat-sobat begleiten durch die Ausstellung, sie führen nicht. Helfen soll dabei die Praxis des Storytelling – das Erzählen von Geschichten. Ein Vorgehen, das durchaus in das Konzept von ruangrupa passt, das keine konservative Kunstvermittlung im Sinne des schlichten Bereitstellens von Informationen intendierte. Vermitteln sollten sich die Kollektive im Sinne der partizipativen Praxis des lumbung ursprünglich selbst, umgesetzt wurde das beispielsweise in Workshops und anderen Veranstaltungen [3 ]. Doch konservative Kunstvermittlungsformate sind fester Bestandteil der documenta und wurden als solche von der documenta Leitung eingefordert. Hier tat sich ein Konflikt zwischen dem Konzept ruangrupas und den letztendlichen Rahmenbedingungen der documenta fifteen auf, der in erster Linie auf Kosten der Vermittler:innen ausgetragen wurde, so Nick Schamborski im gemeinsamen Gespräch (s. u.). Vor allem aber wurden die Kunstvermittler:innen dieser documenta erneut durch prekäre Arbeitsbedingungen belastet. Wo die Neukonzipierung der Kunstvermittlung begann, endete sie bereits. Den Verdruss illustrieren ein offener Brief [4 ] der organisierten sobat-sobat und eine darauf folgende Publikation. Der kollektiv entstandene Brief wurde am 04.08.2022 intern an das Management der documenta und Museum Fridericianum gGmbH, die Abteilung Bildung und Vermittlung und das Artistic Team gesendet. Alexander Farenholtz, nach dem Rücktritt von Sabine Schormann Interimsgeschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum gGmbH, bot zwar Gespräche an, doch die Reaktion blieb unbefriedigend, bis heute gibt es keine Pressemitteilung der documenta zum offenen Brief der organisierten sobat-sobat. Wir sprachen mit Nick Schamborski, ehemalige:r sobat, über die Kunstvermittlung der documenta fifteen. Darüber, wie es zu dem offenen Brief kam, welche Umstände die Arbeit der Kunstvermittler:innen erschwerten und wie sich die Situation für kommende Ausstellungen tatsächlich verbessern könnte. Nick Schamborski ist Medienkünstler:in, Kurator:in und Kunstvermittler:in mit einem Fokus auf diskriminierungskritische Kulturarbeit und erwarb 2021 das Diplom in Freier Kunst an der Hochschule für Bildende Künste. Außerdem absolvierte Nick Schamborski während des Studiums die Zusatzqualifikation Kunstvermittlung, zu der auch das approporiate! Journal gehört. Vor dem Hintergrund unserer Gemeinsamkeiten im Studium interessierte uns besonders, welche Erfahrungen Nick Schamborski als Kunstvermittler:in auf der documenta fifteen gemacht hat. Nick Schamborski sieht die Aufgabe als Kunstvermittler:in darin, „kritische:r Freund:in einer Institution zu sein. Das bedeutet, dass man kritisch die Kunst begleitet und kritisch in den Diskurs tritt mit den Leuten, die da hinkommen und sich die Kunst angucken wollen.” Statt ein:e kritische:r Freund:in der Institution sollte ein:e sobat jedoch ein:e informative:r Begleiter:in durch die Ausstellung sein, so gibt es die documenta gGmbH vor. Die sobat-sobat wurden in ihrer Expertise nicht ernst genommen und sahen sich außerdem prekären Arbeitsbedingungen ausgesetzt, berichtet uns Nick Schamborski. „Wie ist es möglich, mit den Besucher:innen über die lumbung-Werte wie Großzügigkeit oder Transparenz zu sprechen, wenn wir gleichzeitig dermaßen ausgebeutet werden?“, fragt Nick Schamborski. Die documenta fifteen bot von Anfang an ein hohes aktivistisches Potenzial, denn „diese documenta wurde von Leuten geleitet, die selbst nicht institutionell denken, sondern eben diese Gedankenmuster hinterfragen“, so Nick Schamborski. Daher hatten sich unter den Kunstvermittler:innen viele beworben, die Interesse an einer kritischen Auseinandersetzung in ihrer Praxis hatten und schließlich in Eigeninitiative den Raum für kritische Diskurse öffneten, obwohl „der Raum eindeutig nicht dafür gedacht war“. Die lumbung-Werte wurden sich somit von den sobat-sobat angeeignet, um aufzubegehren. Neben Protestaktionen, wie dem Aufhängen ihrer Arbeitsshirts vor dem Fridericianum [5 ] oder der Einladung zum Gespräch über die eigenen Arbeitsbedingungen, wurde die Infrastruktur, beispielsweise die lumbung Press, genutzt, um die Publikation zu drucken, die „ein Weg und ein Werkzeug gewesen ist, um nicht nur aktiv zu sein, sondern auch die Gemeinschaft zusammenzubringen und über die documenta hinaus weiterlaufen zu lassen“, erzählt uns Nick Schamborski und erklärt, dass sich die Probleme, die für die sobat-sobat entstanden sind, differenzieren lassen zwischen inhaltlichen Schwierigkeiten und strukturellen institutionellen Schwierigkeiten. Inhaltlich seien sie nicht ausreichend vorbereitet worden auf Themen wie die Antisemitismusdebatte und Rassismus oder darauf, wie man sich verantwortungsbewusst mit der eigenen epistemischen Gewalt auseinandersetzt, also der Form von Gewalt, die mit unserem gelernten und angewendeten Wissen zusammenhängt. „Um künstlerische Positionen, die als ,aus dem globalen Süden‘ markiert wurden, zu vermitteln, brauchte es nicht nur weitaus mehr Bildung, sondern es besteht eine große Gefahr, koloniale und rassistische Gewalt zu reproduzieren und zu festigen.“ Strukturelle und organisatorische Schwierigkeiten seien unter anderem gewesen, dass die sobat-sobat durch den ihnen zugeteilten Veranstaltungspass zu spät Zugang zu den Veranstaltungsorten hatten, was ihre Vorbereitungsarbeit erschwerte. Dazu seien erhebliche Probleme mit dem Buchungssystem gekommen und unzureichende Zugänglichkeitskonzepte, mit denen die Kunstvermittler:innen allein gelassen wurden. „Dadurch kam es zu einer enormen psychischen Belastung, die unsichtbar gemacht wurde“, bedauert Nick Schamborski. Auf uns macht es den Eindruck, als sei der offene Brief der organisierten sobat-sobat aufgrund seiner Dringlichkeit unvermeidbar gewesen. Wenige Wochen vor dem Ende der documenta fifteen führte er zwar leider nicht mehr zu großen Veränderungen während der Laufzeit. Doch er bewirkte zumindest, „dass man nicht in Harmonie auseinandergeht, sondern diese Ungerechtigkeiten manifestiert wurden“, sagt Nick Schamborski. In erster Linie fordere der Brief aber die Anerkennung der Vermittlungsarbeit bei der documenta. Gleichzeitig strebe er eine langfristige Veränderung der ausbeuterischen Strukturen im Kulturbereich an. Ruangrupa ist es gelungen, die documenta fifteen auf eine Art und Weise zu kuratieren, die sich deutlich von allen vorhergegangenen documentas unterscheidet. Der Kunstvermittlung wurde das Loslösen von alten Mustern jedoch ungleich schwerer gemacht, sowohl in ihrer inhaltlichen Arbeit als auch in Bezug auf die strukturellen Rahmenbedingungen. Der offene Brief und die Publikation der sobat-sobat zeigen deutlich, dass sich die Arbeitsbedingungen für Kunstvermittler:innen der documenta kaum verbessert haben, noch immer sind die Umstände prekär, wie bereits seit vielen Jahren. Auf der letzten documenta hatte es innerhalb der Kunstvermittlung beispielsweise die kritische Gruppe doc14_workers [6 ] gegeben, die offen über ihre Arbeitsverhältnisse reflektierten und das Gespräch suchten. Doch auch schon auf der documenta 12 wurde über die schwierige Lage der Kunstvermittlung der documenta diskutiert, die einerseits kritische und unabhängige Arbeit leisten wollte, jedoch von der Geschäftsführung der documenta eindeutig in das Feld der Dienstleistung gerückt wurde, mit der Erwartung, betriebswirtschaftlich zu denken. [7 ] Wir wollten von Nick Schamborski wissen, was aus Nicks Perspektive tatsächlich zu einer Verbesserung der Situation für die Kunstvermittlung der nächsten documenta führen könnte. „Essenziell ist, dass die Kuration und die Vermittlung zusammengedacht werden und nicht auseinander. Die kuratorische Leitung müsste eine Möglichkeit bekommen, autonom eine Vermittlungsstrategie zu entwickeln, und diese muss personell direkt Teil des künstlerischen Teams sein, welches die documenta organisiert.“ Tatsächlich ist Susanne Hesse-Badibanga, die Leiterin der Abteilung Bildung und Vermittlung der documenta fifteen, die unter anderem für die sobat-sobat zuständig ist, nicht von ruangrupa ausgewählt worden. Es wäre sinnvoll gewesen, hätte sich ruangrupa bewusst für die hier zuständige Person entscheiden können, da das Kollektiv die Vermittlung als Teil der ausgestellten Arbeiten versteht. Nicht nur im Kontext der documenta ist es ein Problem, wenn die Kunstvermittlung erst nachträglich konzipiert wird und nicht von Anfang an als Partner der Kuration mitgedacht wird. Das lässt sich leicht am Beispiel unzugänglicher Begleittexte erkennen, die häufig verfasst werden, ohne die wichtige Expertise der Kunstvermittler:innen einzubeziehen. Dass auch auf der documenta fifteen die Qualitäten von Kunstvermittler:innen nicht richtig anerkannt und aktiviert werden, berichtet Nick Schamborski: Während der Vorbereitungszeit auf die documenta fifteen nahmen die sobat-sobat an Workshops teil, die nur mangelhaft auf die kommende Ausstellung vorbereiteten. „Jede:r Vermittler:in bringt bestimmtes Wissen, Forschungen und Erfahrungen mit, diese Ressourcen wurden gar nicht erst gesehen. Hätte jede:r von uns selber einen Workshop gegeben, über kunstvermittlerische Theorien oder Praxis, wäre das vielfach nachhaltiger gewesen. Das ist ja das Problem, wenn von der Institution die Ressourcen und Potenziale gar nicht erkannt werden, die vorhanden sind. Eigentlich könnte daraus so viel entstehen und damit so viel bewegt werden.“ Bei der Frage danach, welche Rolle der Kunstvermittlung zugedacht wird, geht es nicht zuletzt darum, wer die Entscheidungsmacht über bestimmte Prozesse der Ausstellungskonzeption, -umsetzung und -begleitung innehat. „Sobald ein System primär auf Hierarchien aufgebaut ist, gibt es immer diesen Machtmissbrauch und den gab es dort in der Institution documenta die ganze Zeit“, sagt Nick Schamborski. „Es geht nicht darum, weniger Verantwortung zu übernehmen, sondern dass die Hierarchien abgebaut werden und gemeinschaftlich gearbeitet wird.“ Die Erfahrungen als sobat bestärkten Nick Schamborski darin, dass „das Resultat immer nur so viel wert ist wie die Prozesse, die dazu geführt haben.” Ein Prozess sollte gerecht, sichtbar und wertschätzend sein und genug Raum zugestanden bekommen, anderweitig lohne es sich nicht, für das Endprodukt zu arbeiten. [1] https://documenta-fifteen.de/glossar/ (Zugriff: 10.12.2022) [2] Im Glossar der documenta fifteen steht Folgendes: „lumbung ist die konkrete Praxis auf dem Weg zur documenta fifteen im Jahr 2022 und danach. Aus dem Indonesischen übersetzt bedeutet es ,Reisscheune‘. In indonesischen ländlichen Gemeinschaften wird die überschüssige Ernte in gemeinschaftlich genutzten Reisscheunen gelagert und zum Wohle der Gemeinschaft nach gemeinsam definierten Kriterien verteilt. Dieses Prinzip steht für die Lebens- und Arbeitspraxis von ruangrupa und wird für ein interdisziplinäres und gemeinschaftliches Arbeiten an künstlerischen Projekten genutzt.” [3] https://documenta-fifteen.de/kalender/ : beispielsweise ein Skateboardkurs der Mr. Wilson Skatehalle von Baan Noorg Collaborative Arts and Culture in der documenta Halle oder eine Open Kitchen von Gudskul im Fridericianum [4] https://sobatsobatorganized.files.wordpress.com/2022/08/open.letter.sobat-sobat.18.08.22.pdf (Zugriff: 10.12.2022) [5] https://www.hessenschau.de/kultur/documenta-beschaeftigte-in-kassel-protestieren-gegen-arbeitsbedingungen-v2,documenta-arbeitsbedingungen-100.html (Zugriff: 10.12.2022) [6] https://kw.uni-paderborn.de/en/kunst-musik-textil/nachricht/silogespraeche-doc14-workers-feeling-free-to-talk-about-working-conditions-1 (Zugriff: 10.12.2022) [7] https://www.kubi-online.de/artikel/glauben-mir-kein-wort-entwicklung-kunstvermittlung-zwischen-documenta-x-documenta-14 (Zugriff: 10.12.2022) Nick Schamborski ist Medienkünstler:in, Kurator:in und Kunstvermittler:in mit einem Fokus auf diskriminierungskritischer Kulturarbeit. Im letzten Jahr bekam Nick Schamborski den Bundespreis für Kunststudierende verliehen, kuratierte auf dem European Media Art Festival und arbeitete im Art-Education-Department auf der documenta fifteen in Kassel. Gleichzeitig schloss Nick Schamborski das Meister*inschüler*innenstudium bei dessen langjähriger Professorin Candice Breitz ab. Anna Darmstädter, geboren 1999 in Hannover, studiert Freie Kunst, ehemals bei Professor Nasan Tur und aktuell bei Professor Thomas Rentmeister an der HBK Braunschweig. Zusätzlich studiert sie Kunstvermittlung bei Prof. PhD Martin Krenn. Als gebürtige Clownin ist sie dem Absurden verfallen. Ihre Kunstvermittlung möchte demnach nicht einfach auflösen und erklären, sondern vielmehr das eigene Denken durch Ironie herausfordern, um so neue Perspektiven auf Kunst und den Kunstbetrieb einzunehmen. Julika Teubert, geboren 1995 in Berlin, ist sowohl Künstlerin als auch Kunstvermittlerin und studiert aktuell Freie Kunst bei der Professorin Isabel Nuño de Buen, sowie Kunstvermittlung bei Professor PhD Martin Krenn an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Sie ist Mitbegründerin des appropriate! – Journal zur Aneignung und Vermittlung von Kunst und arbeitet seit zwei Jahren als ständiges Redaktionsmitglied und Autorin an der Entwicklung und Umsetzung der bisherigen vier Ausgaben des Journals. 1 Anker 1 Anker 2 Anker 3 Anker 4 Anker 5 Anker 6 Anker 7

  • Issue 2 Redmann | appropriate

    Issue 2 │ Demokratisierung Anker 1 Arbeitsbedingungen verbessern? Aber wie! Ein Vorschlag für mehr Inklusion und Diversität von Kulturarbeiter:innen als Bedingung demokratischer Strukturen im Kulturbetrieb Mirl Redmann Die Autorin mit einer Tasche, die während der documenta 14 als Vermittlungstool entwickelt wurde. Sie wurde von einigen Kunstvermittler*innen bei der Arbeit getragen und ebenso u.a. beim Aufsichtspersonal in Athen verteilt. Sie steht für die kritische Arbeitsgruppe von Kunstvermittler*innen, die doc14_workers. https://doc14workers.wordpress.com Im Rahmen der Coronakrise wurde plötzlich weithin sichtbar, was viele bereits wussten: Die Arbeitsbedingungen von Kulturarbeiter:innen sind zu großen Teilen prekär. Insbesondere die selbstständig Erwerbstätigen in der Kultur sind arbeitspolitisch und finanziell oft so schlecht abgesichert, dass sie bereits in „normalen“ Zeiten ein Leben am Existenzminimum führen und überhaupt nicht in der Lage sind, Rücklagen zu bilden, wie es für Selbstständige vorausgesetzt wird.[1 ] Aber auch die Arbeitsbedingungen vieler Angestellter, die im Kultursektor maximal flexibel, mit Zeitverträgen, untertariflicher Bezahlung und maximalisierten Aufgabenfeldern tätig sind, verunmöglichen sowohl die Lebensplanung als auch eine arbeitspolitische Selbstorganisation. Das ist nicht nur in Deutschland so – und nicht erst seit gestern.[2 ] Ein Paradox scheint auf: Zwar steht Kultur synonym für die kritische Herausforderung, Reflexion und Vermittlung von Demokratie (vgl. Deutscher Kulturrat 2020) – doch angesichts der starken Hierarchisierung und prekärer Arbeitsbedingungen ist der Grad der Etablierung demokratischer Prinzipien innerhalb von Kunstinstitutionen eher gering.[3 ] Und so geht es Initiativen zur Thematisierung und Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der Kultur auffallend oft um eine doppelte Ausrichtung: erstens um die Definition von finanziellen und sozialen Mindeststandards der Arbeitsbedingungen und zweitens um Wege der demokratischen Teilhabe der Kulturarbeiter:innen an den Institutionen, die sie repräsentieren. Die Frage „Was tun?“ drängt sich heute erneut auf. Sie strukturierte bereits die Arbeit der Vermittlungsabteilung der documenta 12 im Jahr 2007. Damals warf der Chefredakteur der Kunstzeitschrift springerin Christian Höller gemeinsam mit dem französischen Philosophen Jacques Rancière einen Blick auf die besorgniserregende Demokratieskepsis innerhalb des Kultursektors (2007: 13–29). Mit diesem Artikel möchte ich ausgehend von meinen eigenen Erfahrungen als freie Kunstvermittlerin erstens dazu beitragen, dass die arbeitspolitischen Initiativen unterschiedlicher Interessengruppen mehr Sichtbarkeit erlangen, und zweitens einen konkreten Vorschlag in Diskussionen um die arbeitspolitischen Bedürfnisse nach fairer Bezahlung sowie Teilhabe an Meinungsbildungsprozessen einbringen. Dieser Vorschlag bezieht sich auf die Aufgabenverteilung innerhalb von Institutionen und Projekten und ist meines Erachtens essenziell, damit Kulturarbeiter:innen ihrem eigenen Anspruch gerecht werden können, Agent:innen demokratischer Prozesse zu sein. Vermittlung als Schnittstellenaufgabe erfordert Teilhabe heterogener Entscheidungsträger:innen Es ist gar nicht so leicht zu erfassen wie die Arbeitsbedingungen von Vermittler:innen sich eigentlich gestalten, da Vermittlung ein weites Feld mit vielen beteiligten Akteur:innen ist: vom Management über Kommunikation, Outreach und d die Arbeit kuratorischer Abteilungen bis hin zu spezifischen Angeboten der personalen Vermittlung (Kunstvermittlung mit Publikum) und verschiedenen Besucher:innen-Services (vgl. Seegers 2017: 9). Das Bewusstsein für Vermittlung als kulturelle Schnittstellenaufgabe wächst und in den letzten Jahren ist im Feld der Kulturvermittlung somit einiges in Bewegung geraten: Austausch und Kooperationen zwischen verschiedenen Verbänden im Bereich der Kunstvermittlung werden nach wie vor intensiviert und Kolleg:innen im deutschsprachigen Raum vernetzen sich zunehmend, wie beispielsweise die „Salzburger Erklärung: Österreich, Deutschland, Schweiz – Gemeinsam für Qualität in der Kulturvermittlung im Museum“ belegt (vgl. Maelz, Kollar, Spicker 2019).[4 ] Auch auf institutioneller und politischer Ebene wurde die Position der Vermittlung in den vergangenen Jahren massiv gestärkt: Die Einrichtung des Haus Bastian – Zentrum für kulturelle Bildung (seit 2019) der Sammlung Preußischer Kulturbesitz wie auch die von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Modellprojekte „lab.Bode: Initiative zur Stärkung der Vermittlungsarbeit in Museen“ (2017–2021) und „360°– Fonds für Kulturen der Neuen Stadtgesellschaft“ (2018–2023) haben zur verstärkten Ausschreibung von Volontariaten und Stellen für Vermittlung und Outreach an Museen und Kultureinrichtungen geführt. Vermittlung, Inklusion und Outreach werden also sowohl auf personaler als auch auf medialer Ebene neu gedacht. Die Bemühungen um eine Intensivierung der Theoriebildung und Professionalisierung von Kulturvermittler:innen im Sinne des „Educational Turn“ tragen also Früchte (vgl. Jaschke, Sternfeld et al. 2012). Dabei rücken zunehmend auch die Arbeitsbedingungen ins Blickfeld, da diese sich auf die Qualität der Angebote von Kulturinstitutionen im Bereich Vermittlung auswirken. Die Vermittlung bildet einen von fünf durch den Internationalen Museumsrat ICOM definierten Grundpfeilern der Tätigkeit von Museen (neben den Bereichen Sammeln, Bewahren, Forschen und Ausstellen). In angrenzenden Feldern nimmt der Diskurs um Arbeitsbedingungen als Faktor der gesamtwirtschaftlichen Innovationsfähigkeit an Fahrt auf (vgl. BMWi Monitoringbericht zu Kultur und Kreativwirtschaft 2020: 71). Wenn es um die Verbesserung von Arbeitsbedingungen geht, steht die Schaffung von Festanstellungen oftmals im Vordergrund – die Einbettung in tarifliche Strukturen soll die Lebensumstände von Kulturvermittler:innen verbessern und Inklusion und Diversität ermöglichen.[5 ] Doch es gibt eine Notwendigkeit seitens der Vermittlungsinstitutionen wie auch der Vermittler:innen selbst, entscheiden zu können, ob sie eine Anstellung oder ein freies Arbeitsverhältnis bevorzugen. Die gemeinsame Erklärung verschiedener Berufsverbände zur freiberuflichen und selbstständigen Tätigkeit für Museen, die Zusammenschlüsse freier Vermittler:innen in Hamburg, Berlin und Kassel sowie der Fokus der Fachgruppe Kunst von ver.di auf die Situation von Soloselbstständigen im Kulturbereich zeigen dies eindrücklich.[6 ] Die Gründe, sich für freie Vermittlungsarbeit zu entscheiden, können vielfältig sein – denn in der Kunstvermittlung arbeiten nicht nur Menschen mit sehr unterschiedlichen Fachhintergründen und Spezialisierungen (die oftmals auch parallele Karrieren in der Kultur oder Wissenschaft verfolgen), sondern sie stehen auch an verschiedenen Punkten ihres Lebens: Neben den klassischen Zielgruppen von Inklusionsmaßnahmen (Menschen, die körperliche oder geistige Schwierigkeiten haben, an gesellschaftlichen Institutionen und Strukturen in ihrer aktuellen Form teilzuhaben) gibt es beispielsweise Sprachlernende, Pendler:innen, Studierende, Rentner:innen, Eltern oder auch einfach Menschen, die gerne arbeiten ohne Weisungsgebunden zu sein. Letztlich ändern sich unser aller Bedürfnisse im Laufe unseres Lebens und damit die Bedürfnisse, die wir an einen Job herantragen können und müssen – ohne deshalb auf Teilhabe am Arbeitsmarkt verzichten zu wollen (oder zu können).[7 ] Inklusion und Diversität fangen auf der Ebene des Personals an: ein praktischer Vorschlag zur Verteilung von Macht, als Basis der Demokratisierung von Institutionen Demokratie bedeutet Teilhabe, dies scheint aber gerade in der Kultur – vor dem Hintergrund der heterogenen Beschäftigungsverhältnisse und der vielen freien Mitarbeitenden – schwierig zu realisieren. Viele Institutionen im Kulturbereich sind so klein, dass sie von gesetzlich vorgeschriebenen Regelungen zur Flexibilisierung von Arbeit in festen Anstellungsverhältnissen ausgenommen sind; so sind sie kaum in der Lage und auch nicht verpflichtet, auf die Bedürfnisse sich verändernder Lebensumstände einzugehen.[8 ] Aber selbst dort, wo die Größe von Institutionen rein rechtlich die Selbstorganisation der Arbeitnehmer:innen in Betriebs- und Personalräten erlaubt (einhergehend mit gesetzlich vorgeschriebenen Zeitbudgets und der Beteiligung an Gremien), kann eine Interessenvertretung der Angestellten nicht das Problem der mangelnden Teilhabe an Meinungsbildungsprozessen lösen – in Institutionen, die aus unterschiedlichen Gründen viel mit freien Mitarbeiter:innen und externen Dienstleister:innen kooperieren. Es hilft nicht, allein Leitungsebenen diverser zu besetzen, ohne Machtstrukturen, Hierarchien und Kompetenzzuschreibungen zu verändern. Denn dadurch wird den Interessen derjenigen Akteur:innen nicht Genüge getan, deren Lebensumstände es nicht erlauben, eine Vollzeitstelle mit tradiertem Kompetenz-/Leistungsspektrum auszufüllen. Wenn wir Inklusion und Diversität als Bedingung demokratischer Strukturen im Kulturbetrieb denken wollen, dann muss es auch darum gehen, wie die weniger machtvollen und sozial begehrenswerten Positionen in Ausstellungshäusern wahrgenommen, wertgeschätzt und produktiv gemacht werden können. Dies ist auch ein Weg, um Zugänge zu beruflicher Entwicklung in Kulturinstitutionen zu schaffen für Menschen, die in ihren (scheinbaren) Peripherien tätig sind, wie zum Beispiel die Aufsichten, das Sicherheitspersonal oder Mitarbeiter:innen im Kartenverkauf. Die Teilhabe derjenigen, die in diesen Arbeitsbereichen tätig sind, wird heute oftmals durch Klassismus beschränkt,[9 ] obwohl sie insbesondere in den Bereichen Inklusion und Besucher:innen-Forschung einiges an Einsichten beizutragen haben (vgl. Gottschalk 2017). Im aktuellen Management-Diskurs und in der Diskussion um die Strukturierung von Institutionen als gesellschaftliche Allgemeingüter – auch Commons [10 ] genannt – bildet die Frage, wie Hierarchien abgebaut werden können und Macht verteilt werden kann, einen wesentlichen Baustein (vgl. Helfrich 2012 sowie Borsch und Borsch 2019). Wenn alle an institutionellen Prozessen Beteiligten als Teil des Teams angesehen werden und sie die Aufgaben themenorientiert untereinander verteilen (anstatt weitgehend alleingelassen jeweils ihr eigenes Rollenverständnis definieren zu müssen), dann entsteht eine verteilte Machtstruktur oder auch Heterarchie (vgl. Moser 2017).[11 ] Heterarchien werden dort gefördert, wo Teams eigenverantwortlich und projektbezogen arbeiten können. Die projektbezogene Teilung von Aufgaben und die gleichberechtigte Einbindung angestellter und freier Mitarbeiter:innen ermöglichent auch Menschen mit begrenzten Kapazitäten oder Kompetenzen, Aufgaben verantwortungsvoll zu übernehmen. Eine heterarchische Organisationsstruktur garantiert somit Zugänge zu mehr Inklusivität und Diversität innerhalb von Institutionen. Ein einfacher Weg, Machtstrukturen zu verteilen und so die Entstehung von Heterarchien zu ermöglichen, ist die Bezahlung von Sitzungsgeldern für diejenigen, die nicht angestellt sind (oder deren Jobs an Institutionen keine konzeptuelle Arbeit umfassen).[12 ] Eine solche Struktur, in der externe Dienstleister:innen, freie Mitarbeitende und Angestellte miteinander aufgabenbezogen arbeiten, ermöglicht es Institutionen, in einem direkten Informationsaustausch mit allen Teilhabenden zu stehen. Eine solche Struktur hilft auch denjenigen, die als Freie (nicht weisungsgebunden, aber auch nicht eingebunden) sonst oftmals außerhalb der Struktur stehend ihre Rollen individuell und in ihrer Freizeit verhandeln müssen. Nicht nur im Rahmen der rechtlich ungeklärten Situation bezüglich Scheinselbstständigkeit wäre es sinnvoll, auch mit freien Mitarbeiter:innen Arbeitsverträge zu schließen und in diesem Rahmen Sozialversicherungsbeiträge zu übernehmen, wie es laut einer Umfrage des Schweizerischen Verbands für Personen und Institutionen, die in der Kulturvermittlung im Museum und verwandten Feldern aktiv sind (mediamus), bei der Mehrzahl der Schweizer Kolleg:innen bereits der Fall ist (vgl. Kulturevaluation Wegner 2020). Für die Arbeit in solchen Gremien mit verteilten (heterarchischen) Machtstrukturen bietet sich die Etablierung einer Konsent-Kultur an: Ein Konsent geht vom kleinsten gemeinsamen Nenner einer Gruppe aus. Ein Konsent bedeutet: Es muss weder zu allen Fragen ein Konsens gefunden werden, noch werden Mehrheitsentscheidungen getroffen, noch entscheidet die höchste Hierarchieebene final. In Konsent-Entscheidungen dürfen alle gleichberechtigt sprechen. Wer einen begründeten Vorbehalt hat, kann diesen anmelden – und es wird so lange nachgebessert, bis alle an einer Entscheidung Beteiligten diese mittragen können, wenngleich sie vielleicht keine Fans davon sind oder (noch) keine qualifizierte Meinung zum Thema haben. Auch wenn es unserer hierarchisch geprägten Organisationskultur paradox erscheinen mag, sind solche in Gruppenprozessen gefundenen Entscheidungen, in denen alle Beteiligten gehört werden und (Teil-)Verantwortung übernehmen können, schneller und effektiver als die teils schwierige und auf große Widerständen stoßende Top-Down-Vermittlung von Entscheidungen in hierarchisch strukturierten Organisationen (vgl. Rosenberg 2016). Die Einrichtung solcher institutionellen Räume der Selbst- und Mitbestimmung verlangt ein intensives Nachdenken darüber, wer eigentlich von einer Entscheidung betroffen ist, somit gehört werden und mitentscheiden muss und dementsprechend auch für diese Arbeit zu bezahlen ist (Dreher 2013: 26). Die Einbindung in Prozesse erleichtert freien Akteur:innen die Teilhabe an Meinungsbildungsprozessen und damit auch die Selbstorganisation und Qualitätssicherung, da sie so das Zuhören, die Vertretung ihrer Perspektiven und das Netzwerken mit angestellten Vertreter:innen der Institutionen nicht mehr – wie aktuell meist üblich – in die Ehrenamtlichkeit verlagern müssen. Die vorgeschlagene Re-Organisation von Institutionen und Projektprozessen in Heterarchien birgt mittelfristig das Potenzial einer Stärkung demokratischer Strukturen aus dem Inneren der Kulturinstitutionen heraus. Als eigenständige Akteur:innen mit der Gewissheit, dass ihre Stimmen zählen, können so auch die Freien auf andere und neue Arten und Weisen Programme denken und durchführen, die das bestehende Selbstverständnis kultureller Akteur:innen auch mit den Besucher:innen gestalten (Mantel 2017). Mirl Redmann ist Essayistin und Wissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkten in internationaler Vernetzung und Kulturen des Gastgebens. Seit 2017 arbeitet sie als freie Kunstvermittlerin in Kassel, unter anderem für die Kunsthochschule, das Inter-Art Programm der Universität, die Kunsthalle Museum Fridericianum und documenta gGmbH sowie als Mediatorin für die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber in Hessen. Literatur 360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft, 2018–2023. https://www.360-fonds.de/. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Anonymous, 2019. „Arts + All Museums Salary Transparency 2019.“ Google-doc. Aktiv von Mai bis- Dezember 2019. https://docs.google.com/spreadsheets/d/14_cn3afoas7NhKvHWaFKqQGkaZS5rvL6DFxzGqXQa6o/htmlview?usp=sharing. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Art Workers Coalition, 2009. „Statement of Demands (1969).“ In: Alberro, Alexander, Stimson, Blake (Hg.): Institutional critique: An anthology of artists' writings, hg. v. Alexander Alberro und Blake Stimson, 88–89. Cambridge, Mass. u. a.: MIT Press. S. 88–89. Bundesverband freiberuflicher Ethnolog_innen e. V.; Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler (BfK) e. V.; Bundesverband Museumspädagogik e. V.; Deutscher Museumsbund e. V.; Verband der Ausstellungsgestalter in Deutschland e. V.; Verband Deutscher Kunsthistoriker e. V., 2020: „Gemeinsame Erklärung zur freiberuflichen und selbstständigen Tätigkeit für Museen,.,“ 2020. Pressemitteilung. 15. Dezember 2020. https://kunsthistoriker.org/meldungen/gemeinsame-erklaerung-zur-freiberuflichen-und-selbststaendigen-taetigkeit-fuer-museen/. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Birkel, Mathias; Goldhammer, Klaus; Scholl, Eduard; Castendyk, Oliver; Müller, Juliane; Schwarz, Manuel und Wink, Rüdiger, 2020. „Monitoringbericht: Kultur- und Kreativwirtschaft 2020.“ https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/monitoringbericht-kultur-und-kreativwirtschaft-2020-kurzfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=10. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Borsch, Helmut und Borsch, Dietmar, 2019. Demokratisierung in der Organisation: Das Verantwortungsprinzip und das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport. Donnerstag, 2021. „Fairness: Internationales Symposium.“ https://www.fairness-symposium.at/livestream/fairness/?fbclid=IwAR3-vThwO1sqNpGZJUxpEer53fSs-igfbiFYCG-QkROYKpXuOKx_sNGZ-Ag#anchor-paragraph-iframe. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, Hg. 2021. „Künstlerisches Einkommen: Blick in andere Länder.“ Sonderausgabe, kultur politik, Nr. 3. Bundesverband Freie Darstellende Künste e.V., 2021: „Die Zukunft der Arbeit sozial gestalten: Forschungsprojekt „Systemcheck“ nimmt Arbeitsbedingungen der darstellenden Künste in den Blick,“ 2021. Pressemitteilung. 6. Oktober 2021. https://darstellende-kuenste.de/de/service/publikationen/presse/3787-die-zukunft-der-arbeit-sozial-gestalten.html. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Deutscher Kulturrat e. V., 2020. „Thema: Demokratie & Kultur.“ Meilensteine der Demokratiegeschichte und freiheitliche Grundlage der deutschen Gesellschaft. https://kulturrat.de/thema/demokratie-kultur/. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). „Deutscher Kulturrat plädiert für faire und angemessene Vergütung von Solo-Selbständigen im Kulturbereich,“ 2021. Pressemitteilung. 7. Juli 2021. https://www.kulturrat.de/positionen/deutscher-kulturrat-plaediert-fuer-faire-und-angemessene-verguetung-von-solo-selbstaendigen-im-kulturbereich/. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Deutscher Museumsbund e. V., 2019. „Leitfaden: Professionell arbeiten im Museum.“ 2019. Deutscher Museumsbund e.V.. https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2020/01/dmb-leitfaden-professionell-arbeiten-online.pdf. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). doc14_workers Kollektiv, 2020. „Arbeitspolitisches Engagement in der Kunstvermittlung: Das Kollektiv der doc14_workers.“ In: Güleç, Ayse, Herring, Carina, Kolb, Gila (Hg.): Vermittlung vermitteln: Fragen, Forderungen, Versuchsanordnungen von Kunstvermittler*innen im 21. Jahrhundert, hg. v. Ayse Güleç, Carina Herring und Gila Kolb, 9–16. Dreher, Julia, 2013. „Formen sozialer Ordnung im Vergleich: Hierarchien und Heterarchien in Organisation und Gesellschaft.“ In: Opusculum Nr. 63. Hg. Maecenata Institut an der Humboldt-Universität zu Berlin (Hg.): Opusculum Nr. 63. Eichhorn, Maria, Hg., 2009. The Artist's Contract: Interviews with Carl Andre, Daniel Buren, Paula Cooper, Hans Haacke, Jenny Holzer, Adrian Piper, Robert Projansky, Robert Ryman, Seth Siegelaub, John Weber, Lawrence Weiner, Jackie Winsor. Köln: König. Fachbereich Medien, Kunst und Industrie. „Kultur für Alle: Beschlüsse des 5. ver.di-Bundeskongresses, 22.–28. September 2019 in Leipzig.“ Pressemitteilung. https://medien-kunst-industrie.verdi.de/bereiche-fachgruppen/kunst-und-kultur. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Fachverband für Kunstpädagogik, BDK e.V. Bayern; Technische Universität Dortmund; Universität Erlangen-Nürnberg; Stadt Nürnberg, 2012: „Nürnberg-Paper: Interkultur – Globalität – Diversity: Leitlinien und Handlungsempfehlungen zur Kunstpädagogik / Kunstvermittlung remixed.“ 2012. Ergebnisse des ersten Kongresses zum Thema „Interkultur. http://www.buko12.de/wp-content/uploads/2012/08/Part08_Nuernberg-Paper.pdf. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Gottschalk, Hanna, 2017. „Dating a Guard“ in: Arbeitsgruppe Publikation, 2017. Dating the Chorus: Eine selbstverlegte, unabhängige Publikation zur Kunstvermittlung. https://issuu.com/datingthechorus/docs/dating_the_chorus_2. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Haus Bastian – Zentrum für kulturelle Bildung, 2019. https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/haus-bastian-zentrum-fuer-kulturelle-bildung/home/. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Helfrich, Silke 2012. „Muster gemeinsamen Handelns: Wie wir zu einer Sprache des Commoning kommen“ in: Helfrich, Silke und Bollier, David, 2012. Commons: Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat. Bielefeld: transcript. IG Kultur und Landesorganisationen, http://www.fairpaykultur.at/. 2020. „Fair Pay für Kultur: Kultur muss sich lohnen. Für alle.“ Eine Kampagne der IG Kultur und der Landesorganisationen. http://www.fairpaykultur.at/honorarrichtlinien-kultur/. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Jaschke, Beatrice und Sternfeld, Nora, Hg. 2012. Educational turn: Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung. Ausstellungstheorie & Praxis 5. Wien: Turia + Kant. Kollar, Elke und Köhne, Eckart. 2020. „Vision: Bildungsort Museum.“ Pressemitteilung. 2020. https://www.museumspaedagogik.org/fileadmin/Data/Dokumente/Neuigkeiten-Termine-Jobs/Bildungsvision_2020__BVP_DMB.pdf. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Kriki, Nikoleta, 2017. „Documenta 14: “Misunderstandings,” Problems, and Solutions.“ Political Critique & European Alternatives, https://politicalcritique.org/world/2017/documenta-14-misunderstandings-problems-and-solutions/. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Kulturevaluation Wegner, 2020. „Auswirkungen des Corona-Lockdowns auf die Arbeitsbedingungen von Kulturvermittler*innen an Schweizer Museen: Kurzversion der Hauptergebnisse.“ Mediamus -– Schweizerischer Verband für Personen und Institutionen, die in der Kulturvermittlung im Museum und verwandten Feldern aktiv sind. https://mcusercontent.com/cb04098626b7b14f072ec69e1/files/06dae0dc-ab6b-4934-a576-a7dc28d5d567/Umfrageergebnisse_mediamus.pdf. (Stand: 3. Juli 2020). (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Künstlersozialkasse, 2020. „KSK in Zahlen.“ https://www.kuenstlersozialkasse.de/service/ksk-in-zahlen.html. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). lab.Bode — Initiative zur Stärkung der Vermittlungsarbeit in Museen, 2017-–2021. https://www.lab-bode.de/. (Zugriff: am 25. Oktober 2021.) Liersch, Anja; Evers, Friederike und Weißmann, Sarah, 2021. „Bildung und Kultur: Spartenbericht Bildende Kunst.“ https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Kultur/Publikationen/Downloads-Kultur/spartenbericht-bildende-kunst-5216102219004.pdf;jsessionid=6900A7718058EA3411432FA0853C9376.live721?__blob=publicationFile. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Malez, Sandra; Kollar, Elke und Spicker, Caroline, 2019. „Salzburger Erklärung: Österreich, Deutschland, Schweiz.“ Pressemitteilung. 9. Oktober 2019. https://www.museumspaedagogik.org/fileadmin/Data/Dokumente/Salzburger_Erkla__rung_2019.pdf. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Mantel, Katharina, 2017. „Eine Kunstvermittlung der radikalen Akzeptanz.“ In: Preuß, Kristine und Hofmann, Fabian (Hg.): Kunstvermittlung im Museum: Ein Erfahrungsraum, hg. v. Kristine Preuß und Fabian Hofmann. Münster, New York: Waxmann Verlag GmbH. S. 55–59. Mörsch, Carmen, 2012. „Sich selbst widersprechen: Kunstvermittlung als kritische Praxis innerhalb des educational turn in curating.“ In: Jaschke, Beatrice und Sternfeld, Nora (Hg.): Educational turn: Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung, hg. v. Beatrice Jaschke und Nora Sternfeld, 55–77. Ausstellungstheorie & Praxis 5. Wien: Turia + Kant. S. 55–77. Moser, Michaela, 2017. Hierarchielos führen: Anforderungen an eine moderne Unternehmens- und Mitarbeiterführung. Wiesbaden: Springer Gabler. Priller, Eckhard, 2020. „Von der Kunst zu leben: Die wirtschaftliche und soziale Situation Bildender Künstlerinnen und Künstler 2020.“ Expertise zur 7. Umfrage des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler. Berlin: Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler. Rancière, Jacques und Höller, Christian. 2007. „Entsorgung der Demokratie.“ In: Documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH (Hg.): Documenta Magazine N°3: Education, hg. v. Documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs-GmbH, 13–29. Köln: Taschen. S. 13–29. Rosenberg, Marshall B, 2016 [2003]. Eine Sprache des Lebens. Kommunikation Band 1. Paderborn: Junfermann. Ross, Andrew, Hg. 2015. The Gulf: High Culture, Hard Labor. New York: OR Books. Schulz, Gabriele und Zimmermann, Olaf, 2020. „Frauen und Männer im Kulturmarkt: Bericht zur wirtschaftlichen und sozialen Lage.“ Berlin: Deutscher Kulturrat e. V. https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2020/10/Frauen-und-Maenner-im-Kulturmarkt.pdf. (Zugriff: am 25. Oktober 2021). Endnoten [1] Siehe beispielsweise den Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft (BMWi 2020), den Spartenbericht Bildende Kunst des Statistischen Bundesamts (Destatis 2021), den Bericht zur wirtschaftlichen und sozialen Situation Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK 2020). Die Schlussfolgerungen des Deutschen Kulturrats (2021) bieten einen guten Einstieg in die Lektüre, zentral steht auch das vom Kulturrat herausgegebene Buch „Frauen und Männer im Kulturmarkt“ (Schulz und Zimmermann 2020). Bereits zuvor hatten sich einige Initiativen spontan gebildet: Die Hamburger Initiative Muspaeds fordert seit 2019 in einer Bundestagspetition die Aufnahme Kunstvermittelnder in die Künstlersozialkasse, gleichzeitig ging die Berliner Initiative „Geschichte wird gemacht“ in direkte Verhandlungen mit der Kulturverwaltung des Landes Berlin über die Arbeitsbedingungen freier Mitarbeitender an Museen und Gedenkstätten. Seit Oktober 2021 gibt es ein erstes systematisches Forschungsprojekt zu Arbeitsbedingungen im Bereich der darstellenden Künste (Bundesverband Freie Darstellende Künste e.V. 2021). [Zurück] [2] Beispiele für nationale und internationale Initiativen zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen Kulturarbeitender umfassen unter anderem: Das anonyme Google-Dokument zur Einkommenstransparenz von Museumsangestellten (2019); US-amerikanische Museumsarbeiter:innen, die sich seit der Corona-Krise auf betrieblicher Ebene zu Gewerkschaften zusammengeschlossen haben, wie das am Brooklyn Museum oder das am MoMA, die May Day Initiative von Kulturarbeiter:innen auf der documenta 12 , auf die Carmen Mörsch (2012: 59) verweist, sowie den Personalstreik auf der Venedig Biennale in Venedig 2009. Im Rahmen der documenta 14 kam es zum Konflikt um die Bezahlung der Aufsichten in Athen (Kriki 2017) und zur Formulierung arbeitspolitischer Forderungen durch das Kollektiv der doc_14 Workers (2020). Die Gulf Labor Artist Coalition setzt sich seit 2012 auf internationaler Ebene für die Rechte der Arbeiter:innen im Arabischen Golf ein (Ross 2015). Aktuell beschäftigt sich die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift Kultur Politik des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler mit dem Thema „Künstlerisches Einkommen – Blick in andere Länder“ (BBK 2021). Diese Aufzählung ließe sich noch systematisieren und erweitern. [Zurück] [ 3] Was beispielsweise anhand der zunächst eher zögerlich in Deutschland adaptierten Diskussion um Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt unter dem Hashtag #metoo deutlich wurde. [Zurück] [4] Insbesondere der Deutsche Museumsbund und der Bundesverband Museumspädagogik arbeiten eng zusammen, zum Beispiel in der gemeinsam verfassten „Bildungsvision 2020“. Bezogen auf die Integration freier Akteur:innen in der Vermittlung ist insbesondere die „Gemeinsame Erklärung zur freiberuflichen und selbstständigen Tätigkeit für Museen“ wegweisend, verfasst von: Bundesverband freiberuflicher Ethnolog_innen e. V. / Bundesverband freiberuflicher Kulturwissenschaftler e. V. (BfK) / Bundesverband Museumspädagogik e. V. / Deutscher Museumsbund e. V. / VerA – Verband der Ausstellungsgestalter in Deutschland e. V. / Verband Deutscher Kunsthistoriker e. V. (2020). In der „Salzburger Erklärung: Österreich, Deutschland, Schweiz - Gemeinsam für Qualität in der Kulturvermittlung im Museum“ (2019) schlossen sich der Österreichische Verband der KulturvermittlerInnen im Museums- und Ausstellungswesen, der Bundesverband Museumspädagogik (Deutschland) sowie mediamus – Schweizerischer Verband der Fachleute für Bildung und Vermittlung im Museum zusammen. [Zurück] [5] Vgl. die Perspektiven, die im Rahmen der Initiative Fair Pay für Kultur (IG Kultur 2020) und des Fairness-Symposiums des Österreichischen Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (30. September 2021) vorgelegt wurden, sowie die von mediamus beauftragte Studie über die „Auswirkungen des Corona-Lockdowns auf die Arbeitsbedingungen von Kulturvermittler*innen an Schweizer Museen“ (Kulturevaluation Wegner 2020), ebenso den Leitfaden „Professionell arbeiten im Museum“ (Deutscher Museumsbund e. V. 2019) [Zurück] [6] Neben der bereits zitierten „Gemeinsamen Erklärung zur freiberuflichen und selbstständigen Tätigkeit für Museen“ sind hier insbesondere erwähnenswert der Hamburger Zusammenschluss freier Vermittler:innen am Museum (Muspaeds), das Bündnis „Geschichte wird gemacht“ sowie die doc_14 Workers. Auch der Beschluss „Kultur für Alle“ des 5. ver.di-Bundeskongresses, 22.-28. September 2019 in Leipzig, legt einen starken Fokus auf Selbstständige im Kulturbereich, obwohl Gewerkschaften heute Selbstständige gar nicht vertreten können/dürfen. Und der Deutsche Kulturrat (2021) erhebt die wichtige Forderung an die Bundesregierung, sich für die Initiative der EU-Generaldirektion Wettbewerb einzusetzen, die kollektive Verhandlungen Soloselbstständiger ermöglichen soll, um eine Verbindlichkeit von Vergütungs- und Honorarregelungen zuzulassen. Empfehlungen für Honoraransätze für Kunstvermittler:innen im deutschsprachigen Raum sprechen der Schweizerische Verband mediamus (Empfehlungen_an_Kulturvermittler_innen_KVS), der Österreichische Verband der KulturvermittlerInnen im Museums- und Ausstellungswesen (https://kulturrat.at/fair-pay-reader Zugriff am 25. Oktober 2021)), das Onlinemagazin Museum, Erinnerung, Medien, Kultur (mus.er.me.ku) (https://musermeku.org/honorar-im-kulturbereich/ Zugriff 25. Oktober 2021) aus sowie der Verband der deutschen Kunsthistoriker e.V. (https://kunsthistoriker.org/existenzgruendung/#Ref_Honorarempfehlungen Zugriff 25. Oktober 2020). [Zurück] [7] Das „Nürnberg-Paper: Interkultur -– Globalität -– Diversity: Leitlinien und Handlungsempfehlungen zur Kunstpädagogik / Kunstvermittlung remixed“ (verfasst vom Bundeskongress der Kunstpädagogik 2010–-2012) verweist bereits in der zweiten seiner fünf inhaltlichen Leitlinien auf die „Formung und Wandelbarkeit des Publikums durch viele Faktoren“. Dasselbe muss selbstverständlich auch für das Personal von Institutionen angenommen werden. [Zurück] [8] Die betreffenden Regelungen werden im Betriebsverfassungsgesetz geregelt und sind online über das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz abrufbar. Interpretiert und nutzbar gemacht werden diese von verschiedenen Websites, wie beispielsweise (https://www.mittelstand-und-familie.de/flexibles-arbeiten/gesetze-und-regelungen Zugriff: 25. Oktober 2021). [Zurück] [9] Der Kubinaut – ein online Kooperationsprojekt der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung und der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Berlin e. V. -– plant aktuell ein Themendossier zum bisher kaum beachteten Thema „Klassismus im Kulturbetrieb“ (https://www.kubinaut.de/de/themen/8-diversity-matters/kunst-kommt-von-konnen-beitrage-zum-thema-klassismus-und-soziale/ Zugriff: 25. Oktober 2021). [Zurück] [10] Ich möchte mich an dieser Stelle bei meinen Kolleg:innen der documenta14 bedanken, die mich in vielfältigen Formaten der Selbstorganisation an die gelebte Praxis gesellschaftlicher Commons herangeführt haben, sowie bei Silke Helfrich, Vera Hoffmann und Johannes Euler vom Commons-Institut in Bonn, deren Anwendung ihrer Überlegungen zu Mustersprachen des Commoning in der Beratung der Neuen Auftraggeber mich überzeugt haben, mich intensiver mit Commonsgemäßem Management zu beschäftigen. [Zurück] [11] Die in didaktischen Zusammenhängen und im Rahmen selbst-selektierender, homogener Gruppen (wie – leider weitestgehend – der Leitungsebene von Museen) nach wie vor als hinderlich angesehene Heterogenität von Gruppen/Gesellschaft, wird in anderen sozialen und auch wirtschaftlichen Zusammenhängen zunehmend als wert- und effektivitätssteigernd betrachtet. [Zurück] [12] Sitzungsgelder sind beispielsweise in der politischen Selbstorganisation von Kommunen üblich, auch wenn sich aus den darüber entstandenen Diskussionen deutlich abzeichnet, dass sie keineswegs ein Allheilmittel sind, sondern strikt auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden müssen. Insbesondere die von mediamus stark gemachte Forderung, alle Honorare und Vergütungen für Freiberufler:innen immer mit dem Faktor 1,5 zu berechnen, um Vor- und Nachbereitungszeiten adäquat mitzudenken. [Zurück] 1 Anker 2 Anker 3 Anker 4 Anker 5 Anker 6 Anker 7 Anker 8 Anker 9 Anker 10 Anker 11 Anker 12 Ank 1 Ank 2 Ank 3 Ank 4 Ank 6 Ank 5 Ank 7 Ank 8 Ank 9 Ank 10 Ank 11 Anker 12

  • appropriate! Journal zur Aneignung und Vermittlung von Kunst | Kunstvermittlung

    appropriate! Kritische Vermittlung, Soziale Praxis und Theoriebildung Issue 6 ISSUE 6 | Antifaschismus | 2025 Download (coming soon) Editorial DE EN Lena Götzinger, Benno Hauswaldt, Martin Krenn ISSUE 6: ANTIFASCHISMUS IF YOU WANT TO FIGHT FASCISM YOU NEED TO STOP FINDING IT EVERYWHERE Gastbeitrag Dmitry Vilensky Gastbeitrag DE Elena Korowin VIRAL GEHEN UND VERGEHEN ÄSTHETISCHER KATALOG DER VERGANGENHEIT Interview mit Henrike Naumann DE Lena Götzinger & Benno Hauswaldt DAS MITEINANDER IN ZEITEN DER POLARISIERUNG Interview mit Saba-Nur Cheema DE Lena Götzinger PARTIZIPATION UND AGONISMUS Interview mit Markus Miessen DE Benno Hauswaldt SPRACHE IST MÄCHTIG. UND MACHT BEDEUTET VERANTWORTUNG Buchrezension DE Nastasia Schmidt DEFEKTE DEBATTEN & EIN PIEFKE IN WIEN Buchrezension DE Moriz Hertel MODULARE SKULPTUR FÜR DEMOKRATIE UND GEGEN FASCHISMUS Projekt DE Daphne Schüttkemper FOSSILIS – DURCH GRABEN GEWONNEN Projekt DE Linn Bergmann Issue 5 ISSUE 5 | Klimanotstand | 2024 Download (coming soon) DE DE ISSUE 5: KLIMANOTSTAND Editorial Lena Götzinger, Martin Krenn NATUR ALS VERSPRECHEN Gastbeitrag Ursula Ströbele GRÜNE INSTITUTION Interview mit Christoph Platz-Gallus DE Hye Hyun Kim, Paul-Can Atlama FAREWELL TO WETLAND Interview mit Rita Macedo EN Genady Arkhipau ÜBER KUNST UND KLIMAAKTIVISMUS Interview mit Oliver Ressler DE Lena Götzinger WAS HABEN ÄPFEL MIT KUNST UND DEM KLIMAWANDEL ZU TUN? Interview mit Antje Majewski DE Selin Aksu, Anika Ammermann, Jonna Baumann EIN PLÄDOYER FÜR FIKTION ROADSIDE PICNICS LITHUANIAN INSTALLATION SHEDS LIGHT ON ECOLOGICAL WARFARE IN UKRAINE Gastbeitrag DE Pinar Doğantekin Buchrezension DE Benno Hauswaldt KANN KUNST DEMOKRATISCHE RÄUME SCHAFFEN? Buchrezension DE Sarah Hegenbart EIN KUNSTPROJEKT UNTERSUCHT DEN AKTUELLEN ZUSTAND DER DEMOKRATIE Buchrezension DE Anna Maria Niemann VON "NATUR" UND "KULTUR" Projekt DE Sam Evans Issue 4 ISSUE 4 | Machtverhalten | 2022/23 Download (coming soon) ISSUE 4: MACHTVERHALTEN Editorial DE Lena Götzinger, Paula Andrea Knust Rosales, Martin Krenn, Julika Teubert, Mahlet Wolde Georgis DOCUMENTA FIFTEEN: AN ATTEMPT OF RESTRUCTURING POWER RELATIONS Interview mit Dan Perjovschi DE Lena Götzinger, Mahlet Wolde Georgis FREUNSCHAFT ODER DIENSTLEISTUNG? DIE SOBAT-SOBAT DER DOCUMENTA 15 Interview mit Nick Schamborski DE Anna Darmstädter, Julika Teubert KUNSTAWARDS IM MACHTGEFÜGE Gastbeitrag DE Johanna Franke, Katrin Hassler Gastbeitrag DE YOUR RELATIONS ARE OF POWER Gastbeitrag DE Lennart Koch, Esra von Kornatzki WISSEN DEKOLONISIEREN Isabel Raabe KUNSTVERMITTLUNG IN DER PRAXIS Buchrezension DE Maja Zipf EVER BEEN FRIENDZONED BY AN INSTITUTION? Buchrezension DE Julika Teubert GREIFBARKEITEN – GEDANKEN ZU RITUALEN IN KUNST & VERMITTLUNG Projekt DE Nicola Feuerhahn " THIS HAS NOTHING TO DO WITH ART " Gastbeitrag DE Araba Evelyn Johnston-Arthur Issue 3 ISSUE 3 | Vermittlung | 2022 Download (coming soon) ISSUE 3: VERMITTLUNG Editorial DE Paula Andrea Knust Rosales, Martin Krenn, Julika Teubert ZWISCHEN POLITISCHER & KULTURELLER BILDUNG Interview mit Linda Kelch DE Daphne Schüttkemper und Julika Teubert ÜBER DIE SINNLICHKEIT GEBROCHENER WESEN Gastbeitrag DE Lynhan Balatbat-Helbock WIR WERDEN DICHTER:INNEN Gastbeitrag DE Quan Xiao, Ye Xu WIDERSPRÜCHE WIRKEN LASSEN Gastbeitrag DE Nora Sternfeld WURM & LANGEWEILE Gastbeitrag DE Karin Schneider THINKING OUTSIDE THE WHITE CUBE Projekt DE Dani-Lou Voigt NIGHT AUDITION Projekt DE Manuel Bendig, Linus Jantzen, Annika Niemann Issue 2 ISSUE 2 | Demokratisierung | 2021 Download (coming soon) ISSUE 2: DEMOKRATISIERUNG DE Editorial Andreas Baumgartner, Paula Andrea Knust Rosales, Martin Krenn, Julika Teubert IDENTITÄTSPOLITIKEN Interview mit Lea Susemichel & Jens Kastner DE Daphne Schüttkemper, Nano Bramkamp, Jonna Baumann QUEER ACTIVISM IN POLAND'S SPLIT SOCIETY Interview mit Bożna Wydrowska DE Pinar Dogantekin VIDEO, QUIZ UND TANZ... Gastbeitrag DE Nanna Lüth ARBEITSBEDINGUNGEN VERBESSERN? ABER WIE!... Gastbeitrag DE Mirl Redmann MEHRDEUTIGKEIT GESTALTEN Buchrezension DE Julika Teubert BRICKING THROUGH Projekt DE Cedric Gehrke, Constantin Heller, Sarai Meyron, Lily Pellaud and Essi Pellikka PLATZ_NEHMEN Projekt DE Andreas Baumgartner, Martin Krenn, Paula Andrea Knust Rosales Issue 1 ISSUE 1 | Zugänglichkeit | 2021 Download (coming soon) ISSUE 1: ZUGÄNGLICHKEIT Editorial DE Martin Krenn, Julika Teubert PLATZprojekt HANNOVER Interview mit Jeanne-Marie CC Varain DE Anna Darmstädter, Julika Teubert SPRENGEL MUSEUM HANNOVER Interview mit Gabriele Sand DE Anna Miethe, Jana Roprecht KUNSTVERMITTLUNG & KÜNSTLERISCHE PRAXIS Interview mit Sebastian Bartel DE Marius Raatz, Claas Busche ACCESS ALL AREAS ODER DIGITAL DIVIDE? Gastbeitrag DE Steffen Rudolph ACCESSIBILITY, ACCESS & AFFORDANCE Gastbeitrag von Suzana Milevska EN Suzana Milevska „… WARUM LIEGT DIE DENN DA? …“ Gastbeitrag DE Eva Sturm VERMITTLUNG VERMITTELN Buchrezension DE Martin Krenn KRITISCH IM NETZ Interview mit Gabriele Sand DE Nick Schamborski DISCOVER(ING) YOUR HYBRID-FORM Gastbeitrag DE Franziska Peschel

bottom of page